Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhausbehandlung. Anspruch auf Aufwandspauschale. keine Voraussetzung einer Auffälligkeitsprüfung. kein Ausschluss bei Nichtberücksichtigung einer nicht erlöswirksamen sekundären Fehlbelegung in der Abrechnung. keine Beschränkung des Zinsanspruchs auf Prozesszinsen. Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs auf eine Aufwandspauschale
Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch auf Aufwandspauschale ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil keine "Auffälligkeitsprüfung", sondern eine "Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit" gewesen sein könnte (entgegen BSG vom 1.7.2014 - B 1 KR 29/13 R = SozR 4-2500 § 301 Nr 4). Für die Annahme des 1. Senats des BSG, dass es neben dem Verfahren nach § 275 Abs 1c SGB 5 iVm § 275 Abs 1 Nr 1 SGB 5 (vom BSG ungenau "Auffälligkeitsprüfung" genannt) ein weiteres Prüfregime ("Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit") für Abrechnungsfragen bei Krankenhausbehandlungen nach § 39 SGB 5 unter Einschaltung des MDK gebe, welches nicht den Beschränkungen und Rechtsfolgen des § 275 Abs 1c SGB 5 unterliege, fehlt eine gesetzliche Grundlage. Die Auffassung des BSG ist mit Gesetzeswortlaut und -systematik nicht zu vereinbaren und verstößt daher - unter Berücksichtigung der Grenzfunktion des Gesetzeswortlauts - gegen den Grundsatz der Bindung an das Gesetz (Art 20 Abs 3 und Art 97 Abs 1 Grundgesetz - GG).
2. Der Anspruch auf die Aufwandspauschale nach § 275 Abs 1c S 3 SGB 5 entsteht unabhängig davon, ob die Krankenkasse durch eine fehlerhafte Abrechnung oder unzureichende bzw fehlerhafte Angaben Anlass zu Einleitung der MDK-Prüfung gehabt hat (Anschluss an SG Mainz vom 14.6.2013 - S 17 KR 58/12, SG Speyer vom 18.6.2014 - S 19 KR 229/12, Fortführung von SG Mainz vom 19.9.2014 - S 3 KR 35/14 und entgegen BSG vom 22.6.2010 - B 1 KR 1/10 R = BSGE 106, 214 = SozR 4-2500 § 275 Nr 3). Der Anspruch ist insbesondere auch dann nicht ausgeschlossen, wenn eine nicht erlöswirksame sekundäre Fehlbelegung in der Abrechnung nicht berücksichtigt wurde (Fortführung von SG Mainz vom 22.10.2014 - S 3 KR 288/14).
3. Der Anspruch auf Aufwandspauschale ist während des Verzugs nach § 69 Abs 1 S 3 SGB 5 iVm § 288 Abs 1 BGB in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Der Anspruch ist nicht auf Prozesszinsen beschränkt (Anschluss an SG Speyer vom 18.6.2014 - S 19 KR 229/12 aaO; Fortführung SG Mainz vom 19.9.2014 - S 3 KR 35/14 aaO; entgegen BSG vom 28.11.2013 - B 3 KR 4/13 R = SozR 4-2500 § 275 Nr 16).
4. Zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs auf Aufwandspauschale nach § 275 Abs 1c S 3 SGB 5.
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 300 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 24.05.2014 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Berufung wird zugelassen.
4. Der Streitwert wird auf 300 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Zahlung einer Aufwandspauschale.
Die Klägerin ist ein Universitätsklinikum. Die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Patientin … befand sich vom 26.03.2012 bis zum 30.03.2012 bei der Klägerin in stationärer Behandlung.
Die Klägerin stellte der Beklagten die Behandlungskosten unter dem 23.04.2014 in Höhe von 2.657,86 Euro auf Grundlage der DRG J22A (Andere Hauttransplantation oder Debridement ohne komplexen Eingriff, ohne komplexe Diagnose, ohne äußerst schwere oder schwere CC, mit Weichteildeckung) in Rechnung.
Die Beklagte zahlte die Rechnung, beauftragte jedoch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Rheinland-Pfalz mit der Prüfung der Abrechnung. Prüfgrund war die Frage, ob hier die untere Grenzverweildauer hätte unterschritten werden können. Die Begutachtung fand im Rahmen einer Begehung im Klinikum am 08.05.2012 statt.
Der MDK kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die medizinische Notwendigkeit der Aufnahme in ein Krankenhaus zur vollstationären Behandlung bestanden habe. Die Überschreitung der unteren Grenzverweildauer bzw. deren Erreichen sei medizinisch nicht begründet. Hierzu bestehe nach Erörterung fachliche Übereinstimmung mit dem Krankenhaus. Die Prozedur sei korrekt. Die Gesamtverweildauer habe vier Tage betragen, hiervon seien drei Tage medizinisch begründet.
Die Änderung der Grenzverweildauer hatte keine Auswirkungen auf die maßgebliche DRG und auf den Rechnungsbetrag.
Die Klägerin stellte der Beklagten unter dem 10.05.2012 eine Aufwandspauschale in Höhe von 300 Euro in Rechnung.
Mit Schreiben vom 14.05.2012 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie die Rechnung in Höhe von 300 Euro nicht ausgleichen werde. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in seinem Urteil vom 22.06.2010 (Az. B 1 KR 1/10 R) festgestellt, dass dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale immer dann nicht zu zahlen sei, wenn die Abrechnung des Krankenhauses fehlerhaft gewesen sei und die Krankenkasse hierdurch veranlasst wurde, das Prüfverfahren nach § 275 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) einzuleiten....