Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Regelbedarf für Alleinstehende. Bedarfsgemeinschaft. dauernd getrennt lebende Ehegatten. kein gemeinsamer Haushalt. keine Anwendung familienrechtlicher Grundsätze. Unvereinbarkeit mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Rechtsprechung des BSG. Verletzung des Gesetzesbindungsgebots aus Art 20 Abs 3 und Art 97 Abs 1 GG
Leitsatz (amtlich)
1. Im Sinne des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB 2 leben Ehegatten dauernd getrennt, wenn sie nicht nur vorübergehend keinen gemeinsamen Haushalt führen. Dies gilt unabhängig davon, ob einer oder beide Ehegatten die häusliche Gemeinschaft auf Dauer nicht mehr herstellen wollen oder ob die eheliche Gemeinschaft abgelehnt wird (Anschluss an SG Mainz vom 26.3.2013 - S 17 AS 1159/12; entgegen BSG vom 18.2.2010 - B 4 AS 49/09 R = BSGE 105, 291 = SozR 4-4200 § 7 Nr 16; entgegen BSG vom 16.4.2013 - B 14 AS 71/12 R = SozR 4-4200 § 9 Nr 12).
2. Aus dem gesetzgeberischen Konzept zur Gestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums folgt, dass das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft, sofern hieran - wie in § 20 Abs 4 SGB 2 - leistungsrechtliche Konsequenzen geknüpft werden, stets das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft voraussetzt. Die Berücksichtigung von nicht haushaltsangehörigen Personen bei der Festlegung des maßgeblichen Regelbedarfs der Leistungsberechtigten, wäre am Maßstab des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua = BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12; vgl BVerfG vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12 ua = BGBl I 2014, 1581) verfassungswidrig.
3. Die vom 14. Senat des BSG für den Fall einer nur räumlichen Trennung der Ehegatten vertretene analoge Heranziehung des Alleinstehendenregelbedarfs nach § 20 Abs 2 S 1 SGB 2 (vgl BSG vom 16.4.2013 - B 14 AS 71/12 R = SozR 4-4200 § 9 Nr 12) führt zwar zu einem im Hinblick auf das Grundrecht auf Gewährleistung des Existenzminimums verfassungskonformen Ergebnis, verstößt jedoch gegen das Gesetzesbindungsgebot aus Art 20 Abs 3 und Art 97 Abs 1 GG.
Tenor
1. Der Bescheid vom 27.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.04.2014 (468/14) wird aufgehoben.
2. Der Bescheid vom 21.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.04.2014 (512/14) wird aufgehoben.
3. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 20.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.04.2014 (511/12) verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.03.2014 bis zum 30.09.2014 in Höhe von 391 Euro monatlich zu zahlen.
4. Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
5. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid und begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der am … 1989 geborene Kläger ist wohnsitzlos, Vater eines Kindes und inzwischen verheiratet. Für den Kläger ist für den Aufgabenkreis Vermögenssorge, Gesundheitsfürsorge, Postvollmacht und Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden, Versicherungsträgern, Vermieter ein Betreuer bestellt worden.
Am 09.10.2013 hatte der Kläger einen Antrag auf Arbeitslosengeld II beim Beklagten gestellt, nachdem er nach Verbüßung einer Haftstrafe aus der Justizvollzugsanstalt R. entlassen worden war.
Mit Änderungsbescheid vom 23.11.2013 hatte der Beklagte dem Kläger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe des Regelbedarfs für Alleinstehende in Höhe von 391 Euro monatlich bewilligt.
Am 10.01.2014 schloss der Kläger mit der Mutter des gemeinsamen Kindes, Frau, geb., die Ehe. Seine Ehefrau lebte zu dieser Zeit mit dem gemeinsamen Kind in einer Einrichtung der Jugendhilfe und zog später gemeinsam mit dem Kind zu ihrer Mutter.
Der Kläger stellte, vertreten durch seinen Betreuer, am 12.02.2014 einen Weiterbewilligungsantrag auf Arbeitslosengeld II beim Beklagten. Der Betreuer teilte aus diesem Anlass mit, dass der Kläger am 10.01.2014 die Mutter des gemeinsamen Kindes geheiratet habe. Diese lebe zur Zeit in einer Mutter-Kind-Einrichtung, ein Zusammenzug sei aktuell nicht geplant. Der Kläger sei weiterhin wohnsitzlos.
Mit Bescheid vom 20.02.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 in Höhe von 353 Euro monatlich. Hierbei legte er den aktuellen Regelbedarf für Partner nach § 20 Abs. 4 SGB II zu Grunde.
Mit Schreiben vom 19.02.2014 hörte der Beklagte den Kläger an und teilte diesem mit, dass er nach den Erkenntnissen des Beklagten Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 10.01.2014 bis zum 28.02.2014 in Höhe von 64,60 Euro zu Unrecht bezogen habe.
Mit einem Bescheid vom 21.02.2014 änderte der Beklagte den Bescheid vom 23.11.2013 dahingehend ab, dass für den Zeitraum vom 01.03.2014 bis zum 31.03.2014 nur noch Leistungen in Höhe des Regelbedarfs für Partner...