Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflegeversicherung. Freistellung vom Beitragszuschlag für Kinderlose. sozialer Elternteil. Stiefelternschaft. auf Dauer angelegte Partnerschaft. verfestigtes mehrjähriges Elternteil-Kind-Verhältnis. Nachweis gegenüber Arbeitgeber
Leitsatz (amtlich)
1. Das Verständnis des nicht legaldefinierten Begriffs der Stiefelternschaft in § 56 SGB 1 hat sich gewandelt. Die Anschauung in Gesellschaft, Wissenschaft und Verwaltung geht inzwischen davon aus, dass es auch nicht verheiratete Stiefeltern gibt, bei denen die Elternrolle von dem nicht mit dem Kind verwandten Lebensgefährten eines biologischen Elternteils tatsächlich und über einen dauerhaften Zeitraum wahrgenommen wird. Dies ist bei der aktuellen Auslegung des Rechts beachtlich. Das Sozialgericht Mainz schließt sich dem Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26.3.2008 (S 7 R 578/05) insoweit an.
2. Die Stiefelternschaft eines nicht mit dem biologischen Elternteil verheirateten sozialen Elternteils, die den Beitragszuschlag für Kinderlose entfallen lässt, ist im Einzelfall festzustellen. Sie verlangt im Verhältnis der Partner eine auf Dauer angelegte Partnerschaft getragen von gegenseitigem Einstandswillen und im Verhältnis zu den nicht eigenen Kindern die mehrjährige Aufnahme in den eigenen Haushalt, Unterhaltsleistung sowie den Nachweis umfassender tatsächlicher Erziehung. Anhaltspunkt für ein mehrjähriges Elternteil-Kind-Verhältnis zwischen Stiefelternteil und Stiefkind sind mindestens vier bis fünf Jahre.
3. Von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist die Stiefelterneigenschaft gegenüber dem Arbeitgeber nachzuweisen und vom Arbeitgeber festzustellen. Die Pflegekasse hat diesbezüglich vom Gesetzgeber keine Entscheidungskompetenz übertragen bekommen.
Nachgehend
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 2014, geändert durch Bescheid vom 20. März 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. April 2014 wird aufgehoben, soweit er die Freistellung vom Beitragszuschlag für Kinderlose für noch nicht gezahlte Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung betrifft.
2. Die Beigeladene wird verurteilt, für den Kläger ab dem Monat April 2015 den Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung ohne den Beitragszuschlag für Kinderlose abzuführen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Beklagte und die Beigeladene haben dem Kläger jeweils ein Viertel seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Beitragszuschlag für Kinderlose als Bestandteil des Beitrags zur Pflegeversicherung.
Der Kläger wohnte in den Jahren 1996 bis 2013 mit seiner Lebensgefährtin und deren leiblichen Kindern, geboren 1991 und 1994, zusammen. Die Kinder haben ein Elternverhältnis zu dem Kläger aufgebaut. Der Kläger legte hierzu verschiedene Briefe der Kinder an ihn vor, in denen er mit Papa angesprochen wird. Der Kläger hat die Erziehung und den Unterhalt der Kinder mitbestritten.
Der Kläger ist bei der Beklagten von 1. Januar 2012 gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichert. Die Beigeladene, Arbeitgeber des Klägers, führte für ihn seither den für Kinderlose im Vergleich zu Elternteilen um 0,25 Prozent erhöhten Beitrag zur Pflegeversicherung ab.
Am 4. Februar 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Zurückzahlung des geleisteten Beitragszuschlags für Kinderlose, da Kinder seiner Lebensgefährtin in seinem Haushalt gelebt hätten. Dies sei der Beklagten und dem Arbeitgeber bekannt gewesen.
Mit E-Mail vom 6. Februar 2014 ließ der Kläger seinem Arbeitgeber Meldebescheinigungen zukommen, um das Zusammenleben zwischen ihm, seiner langjährigen Lebensgefährtin und ihrer beiden Kinder in einem Haushalt zu belegen.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 7. Februar 2014, ergänzt mit Bescheid vom 20. März 2014 ab. Der Kläger sei mit der Mutter der Kinder nicht verheiratet gewesen.
Hiergegen wandte sich der Kläger mit seinem Widerspruch vom 18. Februar 2014. Der Beklagten sei bekannt gewesen, dass in seinem Haushalt Kinder der Lebensgefährtin gewohnt hätten.
Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. April 2014 ab. Ein Verzicht auf den Beitragszuschlag für Kinderlose und eine Erstattung für die Vergangenheit komme aus gesetzlichen Gründen nicht in Betracht.
Hiergegen richtet sich die Klage vom 9. Mai 2014. Es sei mit Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar, dass Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuten und erziehen und damit einen generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems leisteten, mit gleich hohem Pflegeversicherungsbeitrag belastet würden wie die Mitglieder ohne Kinder.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 2014, geändert durch Bescheid vom 20. März 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. April 2014 aufzuheben, den Nachweis seiner seine Elterneigenschaft anzuerkennen und die Bek...