Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung bei Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung
Orientierungssatz
1. Die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB 6 setzt für einen im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses Versicherten u.a. voraus, dass er aufgrund dieser Tätigkeit Pflichtmitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und Pflichtmitglied einer berufsständischen Kammer ist.
2. Erforderlich ist, dass eine Tätigkeit ausgeübt wird, die berufsspezifisch ist; d. h. sie muss für den in der jeweiligen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung Pflichtversicherten eine typische Berufstätigkeit sein.
3. Unter anderem sind Tätigkeiten im Bereich der Ausschreibung von Nachunternehmerleistungen, Terminplanung für Projektabwicklung, technische Klärung der ausgeschriebenen Leistungen der Anbieter, die Überprüfung der Ausführungspläne und technischen Vorgabeverhandlungen und die Erstellung eines Preisspiegels Architektentätigkeiten.
4. Übt der Betreffende berufstypische Tätigkeiten eines Architekten aus, so sind die Voraussetzungen für die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB 6 gegeben.
Nachgehend
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 09.11.2015 und der Widerspruchsbescheid vom 23.02.2016 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin für ihre Beschäftigung bei der Firma Goldbeck Südwest GmbH ab 01.07.2015 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zu befreien.
Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Befreiung von der Versicherungspflicht für ihre Beschäftigung bei der Firma ... GmbH ab 01.07.2015.
Die am 15.02.1973 geborene Klägerin ist Architektin und seit 11.07.2000 Pflichtmitglied in der Architektenkammer Baden-Württemberg in Stuttgart. Seit 01.07.2015 ist die Klägerin bei der Firma ... in ... an der ... beschäftigt. Laut Anstellungsvertrag vom 16.03.2015 ist sie als Sachbearbeiterin im Technischen Einkauf in der Niederlassung Rhein-Neckar eingestellt. Das Aufgabengebiet umfasst nach dem Anstellungsvertrag „Ausschreibung von Nachunternehmerleistungen, Terminplanbearbeitung für die Projektabwicklung, technische Klärung der ausgeschriebenen Leistungen mit den Anbietern, Projektkalkulation einschließlich der Ausarbeitung des kompletten Angebots, Angebotsauswertung und kaufmännische Vorverhandlungen für Nachunternehmerleistungen, Überprüfung der Ausführungspläne und technische Vergabeverhandlungen als Vorbereitung für kaufmännische Vergabeverhandlung, Bearbeitung von Bestellungen und Abrechnungen für Nachunternehmerleistungen, Pflege der Nachunternehmer- und Preisdatenband, Erstellung eines Preisspiegels“.
Am 04.05.2015 beantragte die Klägerin die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Sie fügte bei den entsprechenden Formvordruck der Beklagten, auf dem das Versorgungswerk der Architektenammer Baden-Württemberg am 28.04.2015 bestätigt hatte, dass die Klägerin ab 01.08.2000 kraft Gesetzes Mitglied im Versorgungswerk ist und ab Beginn der Befreiung für die Zeiten, für die ohne die Befreiung Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung zu zahlen wären, einkommensbezogene Pflichtbeiträge zu zahlen hat.
Auf Anforderung der Beklagten um Übersendung einer vom Arbeitgeber erstellten Stellen- und Funktionsbeschreibung bzw. eines Stellenprofils und um Übersendung der zugrundeliegenden Stellenausschreibung übersandte die Klägerin am 19.10.2015 eine Bescheinigung des Arbeitgebers vom 13.10.2015, wonach bescheinigt wird, dass die Klägerin als Sachbearbeiterin im technischen Einkauf seit 01.07.2015 beschäftigt sei, der technische Einkauf entspreche den Leistungsphasen 6 und 7 nach HOAI für Architektenleistungen. Die Aufgaben entsprächen den üblichen Aufgaben eines Architekten in diesen Leistungsphasen, wie sie auch in Architekturbüros geleistet würden. Da die Firma einen hohen Anspruch an die Qualität der Produkte habe, würden im technischen Einkauf bevorzugt Architekten eingestellt. Wenn die von der Klägerin erfüllten Aufgaben vom Angestellten mit anderen Anschlüssen bearbeitet würden, müsse eine intensivere Zusammenarbeit mit den Architekten aus der Planung erfolgen, was faktisch eine Mehrarbeit bedeute. Die Firma beauftrage auch externe Ingenieurbüros, allerdings nur als Spitzenabdeckung und aus akquisetechnischen Gründen. Es handele sich um ein unbefristetes und ungekündigtes Arbeitsverhältnis mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden an drei Tagen die Woche.
Mit Bescheid vom 09.11.2015 wurde der Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht abgelehnt. Es handele sich nicht um eine...