Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung. Honorarvertrag 2010. Fortgeltung des Regelleistungsvolumens ≪RLV≫ des Vorquartals bei verspäteter Zuweisung. keine nachträgliche Korrektur eines ggf zu hohen RLV. Delegationsbefugnis des Bewertungsausschusses. Unvereinbarkeit des Honorarvertrages 2010 für Praxen in der Aufbauphase mit dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Bei verspätetem Erlass des RLV-Zuweisungsbescheides gilt das RLV des Vorquartals vorläufig fort. Eine nachträgliche Korrektur des gegebenenfalls zu hohen (fortgeltenden) RLV ist nicht möglich.
2. Es bestehen erhebliche Zweifel an einer Delegationsbefugnis des Bewertungsausschusses hinsichtlich der Schaffung von Regelungen für junge Praxen, Praxen in der Aufbauphase, unterdurchschnittlich abrechnende Praxen etc. Regionale Besonderheiten, die eine Delegation auf die regionalen Gesamtvertragsparteien nahelegen würden, sind insoweit gerade nicht vorhanden.
3. Der Honorarvertrag 2010 gibt für Praxen in der Aufbauphase keinen Weg vor, der es ermöglichen würde, abrechnungskonform, also ohne nennenswerte Honorareinbußen, ein durchschnittliches Regelleistungsvolumen zu erhalten. Es ist mit dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit unvereinbar und damit rechtswidrig, dass der Praxis in der Aufbauphase zugemutet wird, vergütungslos Leistungen zu erbringen, um im Folgejahr die Vergütung steigern zu können.
Tenor
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für das Quartal III/10 vorläufig, d.h. bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, ein Regelleistungsvolumen auf der Basis der Durchschnittsfallzahl der Fachgruppe zuzuerkennen.
Die Antragsgegnerin trägt die Gerichtskosten sowie die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Der Streitwert wird auf 25.000€ festgesetzt.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens über die Höhe des zugewiesenen Regelleistungsvolumens für das Quartal III/10.
Die Klägerin ist eine radiologische Gemeinschaftspraxis mit Vorhaltung von CT und MRT und seit dem 01.01.2008 in der Zusammensetzung Frau Dr. J., Herr R. und Herr Dr. O. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Die Dres. R. u. O. betrieben gemeinsam schon seit 2004 eine Praxis an unterschiedlichen Standorten, Frau Dr. J. kam im Januar 2008 dazu.
Praxissitz der neuen Gemeinschaftspraxis ist A-Stadt. Nach einigen zeitlichen Verzögerungen hat die Antragstellerin ihre Praxistätigkeit im Quartal III/09 aufgenommen.
Mit Bescheid vom 09.06.2009 erhielt die Antragstellerin zudem die Genehmigung, eine Zweigpraxis in X-Stadt zu betreiben.
Die Antragstellerin hat seit Aufnahme der Praxistätigkeit über die Höhe des zugewiesenen Regelleistungsvolumens für sämtliche Quartale einstweilige Anordnungsverfahren durchgeführt. Für die Quartale III/09 und IV/09 wurden ihr seitens des Hessischen Landessozialgerichts jeweils Regelleistungsvolumina auf der Grundlage einer Fallzahl von 1500 Fällen zugebilligt (HLSG, Beschluss vom 21.12.2009, Az.: L 4 KA 77/09 B ER, vorhergehend SG Marburg, Beschluss vom 06.08.2009, Az.: S 11 KA 430/09 ER). Diese Rechtsprechung setzte die 10. Kammer des SG Marburg für das Quartal I/2010 fort (Beschluss vom 17.05.2010, Az.: S 10 KA 188/10 ER). Das für das Quartal II/2010 durchgeführte einstweilige Anordnungsverfahren haben die Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 24.08.2010 durch Vergleich beendet. Die Antragsgegnerin hatte der Antragstellerin für dieses Quartal einen Betrag von 54.000€ ausgezahlt, auf.
Die Praxisentwicklung ist der folgenden Tabelle zu entnehmen:
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tatsächliche Fallzahl |
dem RLV zugrunde gelegte Fallzahl |
zugebilligte Fallzahl Rechtsprechung |
ursprünglich zugewiesenes RLV |
Honoraranforderung gesamt |
Honorar gemäß Honorarbescheid |
III/09 |
379 |
90 |
1500 |
3700,09€ |
41.453,21€ |
9.586,10€ |
IV/09 |
1178 |
18 |
1500 |
621,23€ |
129.788,93€ |
28.401,93€ |
I/10 |
2187 |
842 |
1500 |
52.187,15€ |
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II/10 |
2656 |
101 |
Vergleich |
6.697,04€ gezahlt 54.000€ |
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III/10 |
Bis 23.8. nach Angabe der AS: 1785 |
373 |
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28.122,96€ |
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Die Antragsgegnerin teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 16.06.2010 mit, dass sie für das Quartal III/10 monatliche Abschlagszahlungen in Höhe von 5.000€ leisten werde.
Die Antragsgegnerin wies der Antragstellerin auf der Grundlage der tatsächlichen Fallzahl aus dem Quartal III/09 mit Bescheid vom 18.06.2010 ein Regelleistungsvolumen in Höhe von 28.088,25€ € für das Quartal III/10 und korrigierte diesen Betrag auf der Grundlage des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom 01.07.2010 von Amts wegen mit Bescheid vom 28.07.2010 auf 28.122,96€.
Gegen den ursprünglichen Bescheid vom 18.06.2010 hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 28.06.2010 Widerspruch eingelegt.
Gegen die Zuweisung des Regelleistungsvolumens im Quartal III/10 wendet sich die Antragstellerin nun im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes mit Antrag vom 21.07.2010.
Sie trägt vor, dass sich ihre aus den gerichtlichen Verfahren bereits bekan...