Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankengeldanspruch. Erhalt der Mitgliedschaft. nahtlose Feststellung der Arbeitsunfähigkeit. keine Nahtlosigkeit bei Nichtfeststellung spätestens am nächsten Werktag. Unmöglichkeit eines Handelns im Rechtssinne. Vergleichbarkeit der Handlungsunfähigkeit mit einer Geschäftsunfähigkeit)
Leitsatz (amtlich)
1. Für den Erhalt einer Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V ist nach ständiger Rechtsprechung erforderlich, dass die Arbeitsunfähigkeit nahtlos festgestellt wird. Dafür ist eine Feststellung am Tag nach der Beendigung eines Pflichtversicherungsverhältnisses ausreichend.
2. Eine Nahtlosigkeit ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn die Arbeitsunfähigkeit auch nicht am nächsten Werktag festgestellt wird.
3. Eine Fristversäumung geht nicht zu Lasten der versicherten Person, wenn ein Handeln im Rechtssinne nicht möglich war. Dafür müsste aber glaubhaft gemacht sein, dass die nur vorübergehende Handlungsunfähigkeit so erheblich war, dass diese zumindest vergleichbar mit einer Geschäftsunfähigkeit war.
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Krankengeld.
Die 1972 geborene Antragstellerin war zunächst als Arbeitnehmerin bei der Antragsgegnerin pflichtversichert. Der ehemalige Arbeitgeber meldete das Ende der Beschäftigung zum 30.9.2023.
Die Antragstellerin reichte bei der Antragsgegnerin zwei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, eine von der Allgemeinmedizinerin Dr. D. mit der Diagnosen F 43.9 und dem Vermerk psychischer Ausnahmezustand und eine von der psychiatrischen Praxis von Dr. M. mit den Diagnosen F 33.1. und G 43.0, die beide eine Arbeitsunfähigkeit seit dem 30.9.2023 feststellen. Als Feststellungsdatum wurde jeweils der 4.10.2023 vermerkt. Im Übrigen wurden lückenlose Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bis zum Entscheidungszeitpunkt vorgelegt.
Mit Bescheid vom 20.10.2023 teilte die Antragsgegnerin mit, dass kein Anspruch auf die Gewährung von Krankengeld bestünde, da die Mitgliedschaft der Antragstellerin am 30.9.2023 geendet habe.
Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit Widerspruchsschreiben vom 17.11.2023. Sie sei seit dem 30.9.2023 durchgängig krankgeschrieben, die Mitgliedschaft sei deshalb nicht beendet worden. Selbst wenn die Mitgliedschaft beendet worden sei, gäbe es eine Nachversicherungspflicht.
Auf Nachfrage der Antragsgegnerin bestätigte die Praxis von Dr. M. durch Schreiben vom 26.1.2024, dass die Antragstellerin seit dem 2.10.2023 arbeitsunfähig erkrankt sei. Mit Schreiben vom 15.2.2024 erklärte die Praxis, dass die Antragstellerin sich am 2.10.2023 vorgestellt habe und sie seit dem 30.9.2023 arbeitsunfähig erkrankt sei.
Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29.2.2024 als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen darauf, dass die Arbeitsunfähigkeit der Antragstellerin am 4.10.2023 festgestellt worden sei, die Antragstellerin aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr versichert gewesen sei. Eine Zahlung von Krankengeld sei daher nicht möglich.
Die Antragstellerin hat am 13.3.2024 Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf Erlass einer einstweilen Anordnung am Sozialgericht Marburg gestellt. Die Antragsgegnerin verweigere ihr das zustehende Krankengeld. Sie sei aufgrund ihrer Migräneerkrankung mit Drehschwindel nicht in der Lage gewesen, sich am 2.10.2023 bei einem Arzt vorzustellen. Hinzu gekommen sei noch der Streik der Ärzteschaft.
Die Antragstellerin beantragt (sinngemäß),
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Krankengeld zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Arbeitsunfähigkeit sei am 4.10.2023 festgestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Antragstellerin aber nicht mehr mit Krankengeldanspruch versichert gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Nach dem hier einschlägigen § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Die hier in Betracht kommende Regelungsanordnung (Satz 2) setzt einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch au...