Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Sonderbedarfszulassung. Feststellung des Sonderbedarfs. tatsächliche Versorgungssituation im betreffenden Planungsbereich
Orientierungssatz
Für die Feststellung eines Sonderbedarfs kommt es in erster Linie auf die tatsächliche Versorgungssituation im betreffenden Planungsbereich an, was nicht ausschließt, dass die sachkundigen Zulassungsgremien diesen Planungsbereich im Falle von Subspezialisierungen einzelner Fachgebiete überschreiten und auch die an den untersuchten räumlichen Bereich angrenzenden Gebiete in ihre Überlegungen miteinbeziehen (vgl BSG vom 28.6.2000 - B 6 KA 35/99 R = BSGE 86, 242 = SozR 3-2500 § 101 Nr 5 = juris RdNr 36).
Tenor
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 02.04.2020 wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin hat die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners und der Beigeladenen zu 8) zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Der Streitwert wird auf 114.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Wege eines einstweiligen Anordnungsverfahrens um die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Antragsgegners, mit dem dieser die Antragstellerin zur vertragsärztlichen Tätigkeit für einen hälftigen Versorgungsauftrag im Planungsbereich Main-Kinzig-Kreis aufgrund Sonderbedarfs zugelassen hat, wogegen die Beigeladene zu 8) Klage erhoben hat (Az.: S 12 KA 411/19).
Die 1971 geb. und jetzt 48-jährige Antragstellerin ist Fachärztin für Chirurgie und hat die Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie. Sie war seit 01.01.2009 als Nachfolgerin des Herrn Professor Dr. F. bis zum 31.12.2017 mit einem vollen Versorgungsauftrag zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und innerhalb einer Berufsausübungsgemeinschaft mit Praxissitz in A-Stadt tätig. Seit dem 01.01.2018 ist sie dort in Einzelpraxis mit einem hälftigen Versorgungsauftrag niedergelassen. Im Rahmen des Trennungsverfahrens mit der Berufsausübungsgemeinschaft hat sie einen hälftigen Versorgungsauftrag an die verbleibenden Kollegen abgegeben. Sie führt die Zusatzbezeichnung spezielle Unfallchirurgie und ist als D-Ärztin tätig.
Die Antragstellerin beantragte am 21.08.2018 beim Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen eine Sonderbedarfszulassung für einen hälftigen Versorgungsauftrag mit Vertragsarztsitz in A-Stadt zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Sie trug vor, es bestehe ein Versorgungsmangel im Fach Chirurgie und Unfallchirurgie. Die ehemalige Berufsausübungsgemeinschaft sei an das St. Vinzenz-Krankenhaus verkauft worden. Die nunmehr angestellten Ärzte hätten die Versorgung von chirurgischen Notfallpatienten deutlich reduziert. Man generiere weitgehend planbare ambulante Operationen. Auch das Fachärztenetzwerk R. versorge keine chirurgisch-unfallchirurgische Notfälle, da nur ein ausgewiesener Spezialist für ein chirurgisches Teilgebiet bzw. Operationsgebiet vor Ort verfügbar sei. Auch die Praxis von Dr. G. sei an das Fachärztenetzwerk abgegeben worden, so dass auch dadurch die Versorgung orthopädisch-unfallchirurgischer Notfälle eingeschränkt sei. Nachdem es wenig aufnahmebereite Praxen gebe, sei in ihrer Praxis ein dramatischer Anstieg von Notfallpatienten zu verzeichnen. Die auffällige Häufung der chirurgischen Notfallpatienten sei im Zusammenhang mit den in A-Stadt ansässigen großen Firmen zu sehen. Die Notfallversorgung erfolge daher nur durch drei Ärzte, Dr. H., Dr. J. und durch sie selbst. Dies sei jedoch für eine Stadt mit 100.000 Einwohnern nicht ausreichend. Zudem praktiziere sie als einzige niedergelassene Chirurgin den Schwerpunkt der Venenchirurgie. Die GOP 31202 werde hessenweit nur von 19 Praxen, die GOP 31208 sogar von nur 17 Praxen erbracht. Eine gehäufte Abrechnung der Ziffern 31202, 31208 und 33072 EBM würden den venenchirurgischen Schwerpunkt belegen.
Die zu 1) beigeladene Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) empfahl unter Datum vom 10.10.2018, den Antrag abzulehnen. Sie führte aus, für den Bereich der Chirurgie betrage der Versorgungsgrad 145,23 % im Planungsbereich Main-Kinzig-Kreis mit 349.982 Einwohnern. Es seien fünf Chirurgen ohne Schwerpunkt, sieben Chirurgen mit Schwerpunkt Unfallchirurgie, ein Chirurg mit Schwerpunkt Visceralchirurgie sowie ein Chirurg mit dem Schwerpunkt Plastische und Ästhetische Chirurgie niedergelassen. In A-Stadt selbst seien inklusive der Antragstellerin sechs Chirurgen mit fünf Versorgungsaufträgen tätig. Hiervon verfügten fünf über die Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie und einer über die Schwerpunktbezeichnung Visceralchirurgie. Die weiteren Chirurgen befänden sich mit angegebener Entfernung zu A-Stadt in C-Stadt (25 km), E-Stadt (40 km), F-Stadt (35 km) und G-Stadt (55 km). Es befänden sich jedoch außerhalb des Planungsbereiches Main-Kinzig-Kreis noch gut erreichbare Chirurgen in H-Stadt (13 km), J-Stadt (20 km), K-Stadt (12 km) und L-Stadt (13 km).
Im Rahmen einer Bedarfsanalyse seien alle niedergelassenen Chir...