Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. soziale Pflegeversicherung. vorläufige Gewährung von Pflegegeld nach einem höheren Pflegegrad. Entgegenstehen eines im Verwaltungsverfahren eingeholten Pflegegutachtens
Leitsatz (amtlich)
1. Die vorläufige Gewährung von Pflegegeld nach einem höheren Pflegegrad im Rahmen eines sozialgerichtlichen Eilverfahrens kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn bereits ein im Verwaltungsverfahren eingeholtes Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes das Bestehen eines höheren Pflegegrad nicht stützt.
2. Solange die Pflege aktuell und tatsächlich noch sichergestellt ist, besteht in der Regel keine Eilbedürftigkeit für die Gewährung von Pflegegeld aufgrund eines höheren Pflegegrades.
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird vom 04.06.2023 abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach dem Pflegegrad 4.
II.
Im hiesigen Eilverfahren hat der Antragsteller keinen ausdrücklichen Antrag gestellt. Wegen § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet das Gericht über die von dem Antragsteller erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Nach diesen gesetzlichen Vorgaben ist es ausreichend, wenn analog § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) durch Auslegung des prozessualen Vorbringens des Antragstellers und Berücksichtigung aller erkennbaren Umstände, das Antragsbegehren und der Gegenstand der Entscheidung ermittelbar ist. Beantragt hat der Antragsteller - zumindest im Hauptsacheverfahren - die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung. Insoweit ist für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes als Antragsziel hingegen eine Zahlung von Vorschüssen anzunehmen, da eine Verpflichtung zur Zahlung von Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung wie Pflegegeld eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung darstellen würde (vgl. LSG Bayern, Beschl. v. 30.03.2009 -L 13 R 96/09 B ER, Juris Rn. 15). Gemäß § 42 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch- Allgemeiner Teil - (SGB I) kommt die Zahlung von Vorschüssen in Betracht, wenn ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach besteht und zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich ist.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, allerdings nicht begründet.
Zum Erlass einer einstweiligen Anordnung wird das Gericht durch § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ermächtigt.
Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung, § 86b Abs. 2 S. 1 SGG). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung, § 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung sind ein Anordnungsanspruch im Sinne einer materiell-rechtlichen Anspruchsgrundlage sowie ein Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit. Anordnungsanspruch und -grund sind gemäß § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2,294 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf das geltend gemachte materielle Recht des Antragstellers, für das vorläufiger Rechtsschutz beantragt wird. Anordnungsgrund ist die Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile. Vermieden werden soll sowohl bei Sicherungs- als auch bei Regelungsanordnungen, dass der Antragsteller vor vollendete Tatsachen gestellt wird, bevor er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, Kommentar 13. Aufl. 2020, § 86b SGG Rn. 27a). Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn der Antragsteller nach materiellem Recht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die begehrte Leistung hat. Dabei reicht im Eilverfahren die Überzeugung aus, dass der materielle Anspruch und die Eilbedürftigkeit überwiegend wahrscheinlich sind. Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebotes, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes), ist von diesem Grundsatz jedoch dann abzuweichen, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare später nicht wiedergutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.10.1988 - Az. 2 BvR 745/88, BVerfGE 79, 69 ff.; Beschl. v. 22...