Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Beschwerdeausschuss. Berechtigung, vergleichsweise Einigungen zur Beendigung des Verfahrens zu treffen. Kompetenz, prozessuale (Vor-)Fragen im Beschlusswege zu entscheiden. Anfechtung durch Vertragsarzt. Willenserklärungen von vermeintlichen Bevollmächtigten ohne tatsächliche Vertretungsbefugnis. Vertrauenshaftung

 

Orientierungssatz

1. Dem nach § 106 Abs 4 S 1 SGB 5 gebildeten Beschwerdeausschuss kommt neben der Entscheidungskompetenz in den jeweiligen materiell-rechtlichen Fragen als Annexkompetenz zum einen auch die Berechtigung zu, vergleichsweise Einigungen zur Beendigung des Verfahrens zu treffen. Zum anderen hat er die Kompetenz, prozessuale (Vor-)Fragen im Beschlusswege zu entscheiden, so etwa über die Zulässigkeit des jeweiligen Widerspruchs oder - wie vorliegend - die Feststellung zu treffen, dass ein Verfahren seine Erledigung gefunden hat.

2. Die subjektive Erkenntnis des Vertragsarztes, dass er aus verfahrenstaktischen Gründen mit der Nichtabgabe der Willenserklärung möglicherweise besser beraten gewesen wäre, weil eine möglicherweise günstigere Rechtsfolge bei Fortführung des Verfahrens hätte entstehen können, stellt ein Motiv zur Fortführung des Verfahrens dar und berechtigt nicht zur wirksamen Anfechtung.

3. Es entspricht nach zivilrechtlichen Grundsätzen der allgemeinen Auffassung, dass Willenserklärungen von vermeintlichen Bevollmächtigten ohne tatsächliche Vertretungsbefugnis den scheinbaren Vollmachtgeber rechtlich binden. Es handelt sich um einen Fall der Vertrauenshaftung, die ihre Grundlage in § 242 BGB, also dem Grundsatz von Treu und Glauben, hat.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 26.05.2021; Aktenzeichen B 6 KA 7/20 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Verfahrenskosten zu tragen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger seine Zustimmung zur gütlichen Einigung mit dem Beklagten zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens wirksam angefochten hat.

Der Kläger nimmt seit 1984 mit einer Einzelpraxis in A-Stadt an der vertragsärztlichen Versorgung teil.

Unter dem Datum des 01.11.2010 teilte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen (im Folgenden: Prüfungsstelle) dem Kläger die Eröffnung eines Verfahrens der Wirtschaftlichkeitsprüfung bezogen auf einzelne Leistungsbereiche für die Quartale I/2007-IV/2007 mit (Bl. 124 der Verwaltungsakte). Sie forderte den Kläger zur substantiierten Stellungnahme auf.

Nachdem dieser nicht reagiert hatte, setzte die Prüfungsstelle mit Bescheid vom 20.06.2011 (Bl. 152 der Verwaltungsakte) Honorarabänderungen gegen ihn fest. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte verwiesen.

Hiergegen erhob der Kläger am 18.07.2011 Widerspruch (Bl. 153 der Verwaltungsakte), den er knapp begründete, wobei er seine Begründung mit ausführlichen Schreiben vom 14.08.2011 (Bl. 170 der Verwaltungsakte) und vom 15.1.2012 (Bl. 204 der Verwaltungsakte) und weiteren undatiert übersandten Unterlagen (Bl. 213 der Verwaltungsakte) vertiefend ergänzte. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auch hier auf den Inhalt der Verwaltungsakte verwiesen.

Mit Bescheid vom 19.08.2011 korrigierte die Prüfungsstelle Ihren vorgenannten Bescheid in Bezug auf erfolgte Schreib- und Additionsfehler (Bl. 160 der Verwaltungsakte).

Mit Faxschreiben vom 27.02.2012 an den Beklagten, dort eingegangen am 28.02.2012, führte der Kläger aus:

„Hiermit bestätige ich Ihnen meine Teilnahme an der Anhörung am 29.02.2012. Herr C. von der KV A-Stadt, C-Straße hat mir geraten einen Rechtsanwalt mitzubringen deshalb werde ich Herrn RA D. mitbringen.

VOLLMACHT

Hiermit erteile ich Herrn RA D. die Vollmacht mich als Rechtsbeistand Zu begleiten bei der persönlichen Anhörung in der nicht-öffentlichen Sitzung des Beschwerdeausschusses der Ärzte und Krankenkassen in Hessen am Mittwoch den 29.02.2012 um 15:30 Uhr im Sitzungszimmer 1.03 der KV Hessen.“ [Anm.: Orthographie aus Original unverändert übernommen].

Im Rahmen der Sitzung des Beklagten am 29.02.2012, an der der Kläger persönlich sowie Herr Rechtsanwalt D. teilnahmen, wurde das Verfahren einvernehmlich beendet.

Es heißt in der betreffenden Niederschrift der Sitzung (Bl. 217 der Verwaltungsakte):

„Im Einvernehmen aller Beteiligten wird folgende einvernehmliche Regelung getroffen:

1.

In Abweichung des Bescheides der Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Hessen - Kammer Süd - vom 20.06.2011, korrigiert am 19.08.2011, verpflichtet sich Doktor A. für die Quartale I/07 bis IV/07 ein Honorarregressbetrag in Höhe von netto 20.000,00 € (zwanzigtausend Euro) zu bezahlen.

2.

Es wird eine Ratenzahlung in 8 Teilraten à 2.500,00 € (zweitausendfünfhundert Euro) zugestanden. Die erste Rate i.H.v. 2.000,00 € netto soll mit der Restzahlung für das 2. Quartal 2012 verrechnet werden.

3.

Es besteht Einvernehmen darüber, dass außergerichtliche Kosten - insbesondere Anwaltskosten - nicht erstattet werden.

4.

Es besteht Einvernehmen darüber, dass hiermit die gesamten ...

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