Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarztrecht
Leitsatz (amtlich)
Die Unkenntnis darüber, dass bei künftiger, erneuter Überschreitung einer Richtgröße keine (weitere) individuelle Beratung festgesetzt werden wird, sondern das Risiko eines finanziellen Regresses im Falle der Richtgrößenüberschreitung droht, stellt keinen Inhaltsirrtum im Sinne des § 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB, sondern - weil lediglich mittelbare Rechtsfolge - einen unbeachtlichen Motivirrtum dar.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger seine Zustimmung zur gütlichen Einigung mit dem Beklagten zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens wirksam angefochten hat. Der Kläger ist als Arzt für Allgemeinmedizin in A-Stadt niedergelassen.
Unter dem Datum des 29.09.2010 teilte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen (im Folgenden: Prüfungsstelle) dem Kläger die Eröffnung eines Verfahrens der arztbezogenen Richtgrößenprüfung hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der verordneten Leistungen von Heilmitteln für das Jahr 2008 mit. Beim Kläger liege eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens vor. Sie forderte den Kläger zur substantiierten Stellungnahme auf.
Mit Schreiben vom 14.10.2010 nahm der Kläger hierzu Stellung. Hinsichtlich dessen Inhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte (Bl. 11-13) verwiesen.
Mit Bescheid vom 21.12.2010 setzte die Prüfungsstelle wegen Überschreitung der Heilmittel-Richtgröße 2008 einen Regress in Höhe von 10.192,74 Euro fest. Hinsichtlich der Begründung des Bescheids wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte (Bl. 60-64) verwiesen.
Hiergegen erhob der Kläger am 29.12.2010 Widerspruch, den er mit undatiertem Schreiben, eingegangen bei der Prüfungsstelle am 22.03.2011, begründete. Hinsichtlich des Inhalts der Begründung wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte (Bl. 70-71) verwiesen.
Unter dem Datum des 09.09.2011 hatte die Prüfungsstelle dem Kläger mittlerweile die Eröffnung eines Verfahrens der arztbezogenen Richtgrößenprüfung hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der verordneten Leistungen von Heilmitteln, nun für das Jahr 2009 mitgeteilt (Bl. 94 - 109 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 16.12.2011 setzte die Prüfungsstelle wegen Überschreitung der Heilmittel-Richtgröße 2009 einen Regress in Höhe von 7.748,59 Euro fest. Hinsichtlich der Begründung des Bescheids wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte (Bl. 126-129) verwiesen.
Hiergegen erhob der Kläger am 21.12.2011 Widerspruch, den er mit Schreiben vom 09.02.2012 begründete. Hinsichtlich des Inhalts der Begründung wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte (Bl. 133-135) verwiesen.
Mit Schreiben vom 28.03.2013 wies der Beklagte den Kläger auf die Neufassung des § 106 Abs. 5e SGB V hin und bot eine einvernehmliche Regelung betreffend beider Prüfungsjahre, also 2008 und 2009, an. Wörtlich lautet das Schreiben nach dem Briefkopf (Hervorhebungen, Einrückungen etc. aus Original übernommen):
"Betreff: Richtgrößenprüfung Heilmittel 2008 und 2009
Sehr geehrter Herr Dr. A.,
zum 01.01.2012 wurde dem Grundsatz "Beratung vor Regress" im Sozialgesetzbuch V (SGB V) ausdrücklich der Vorrang vor der Festsetzung eines Heilmittelregresses eingeräumt. Im Rahmen von Richtgrößenprüfungen ist seitdem grundsätzlich eine individuelle Beratung durchzuführen bevor ein Regress festgesetzt werden kann. In § 106 Abs. 5e SGB V heißt es dazu nunmehr:
"Abweichend von Absatz 5a Satz 3 erfolgt bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent eine individuelle Beratung nach Absatz 5a Satz 1. Ein Erstattungsbetrag kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden."
Die ursprünglich offene Frage, ob der Grundsatz "Beratung vor Regress" auch rückwirkend anwendbar ist, hat der parlamentarische Gesetzgeber inzwischen geklärt. Mit Wirkung zum 26.10.2012 wurde § 106 Abs. 5e SGB V um einen Satz 7 ergänzt. Danach ist der Grundsatz "Beratung vor Regress" auch auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31. Dezember 2011 vor dem Beschwerdeausschuss noch nicht abgeschlossen waren.
Der Beschwerdeausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Hessen prüft aufgrund der veränderten Rechtslage, bei welchen der anhängigen Widerspruchsverfahren die oben zitierte Regelung einschlägig ist. In Ihrem Fall sind die Verfahren der Richtgrößenprüfung Heilmittel 2008 und 2009 von der gesetzlichen Neuregelung betroffen.
Im Sinne einer zeitnahen und verwaltungsökonomischen Beendigung der anhängigen Verfahren unterbreitet Ihnen der Beschwerdeausschuss den in der Anlage beigefügten Vorschlag zu einer einvernehmlichen Regelung dieses Verfahrens. Diese vom Beschwerdeausschuss vorgeschlagene Regelung sieht eine ausdrückliche Aufhebung des in der ersten Verwaltungsinstanz festgesetzten Regresses gegen Durchführung einer individuellen Beratung i. S. v. § 106 Abs. 5e SGB V vor Konkret ergeben sich beim Zustandekommen dieser Regelung für Sie folgende Konsequenzen:
1. Es bedarf keiner wei...