Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung. erstmalige Überschreitung der Richtgröße für Heilmittelverordnungen. Art und Weise einer individuellen Beratung nach § 106 Abs 5e S 1 SGB 5. schriftliche Zusammenfassung. kein Verwaltungsakt iSd § 31 SGB 10
Leitsatz (amtlich)
Weder die individuelle Beratung nach § 106 Abs 5e S 1 SGB V noch ihre schriftliche Zusammenfassung stellen einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X dar. Es handelt sich stattdessen um Realakte. Der Rechtssatz des § 106 Abs 5e S 1 SGB V dient hinsichtlich der Art und Weise der Durchführung einer individuellen Beratung dem öffentlichen Interesse und nicht dem Schutz von Individualinteressen. Die Vorschrift räumt dem betroffenen Vertragsarzt nach der sog Schutznormtheorie keinen subjektiv öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Durchführung der Beratung in einer bestimmten Art und Weise ein.
Orientierungssatz
1. Nach Feststellung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 22.10.2014 - B 6 KA 3/14 R = BSGE 117, 149 = SozR 4-2500 § 106 Nr 48) ist Sinn und Zweck der Einführung des § 106 Abs 5e SGB 5 gewesen, Ärzte nach erstmaligem Überschreiten des Richtgrößenvolumens nicht unmittelbar einem Regress auszusetzen, sondern ihnen über eine eingehende "Beratung" zunächst ohne finanzielle Konsequenzen für die Praxis die Möglichkeit zu geben, ihr Verordnungsverhalten bei Arznei- und Heilmitteln zu modifizieren. Damit bringt das Obergericht das in der Wirtschaftlichkeitsprüfung vom Gesetzgeber festgelegte und allgemein anerkannte Prinzip "Beratung vor Regress" sprachlich abgewandelt zum Ausdruck.
2. Az beim LSG Darmstadt: L 4 KA 58/17
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Art und Weise einer individuellen Beratung wegen Überschreitung der Richtgröße für Heilmittelverordnungen des Jahres 2010.
Der Kläger ist seit April 2009 als Chirurg mit dem Schwerpunkt Gefäßchirurgie in A-Stadt niedergelassen und nimmt an der vertragsärztlichen Versorgung teil.
Im Rahmen eines entsprechenden Verwaltungsverfahrens hatte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen (im Folgenden: Prüfungsstelle) mit Bescheid vom 03.12.2012 aufgrund der Überschreitung der Richtgröße Heilmittel im Jahr 2010 gegenüber dem Kläger eine individuelle Beratung festgesetzt. Den entsprechenden Widerspruch des Klägers hatte der Beklagte mit Bescheid vom 13.02.2014 aufgrund des Beschlusses vom 18.09.2013 zurückgewiesen. Hiergegen hatte der Kläger am 07.03.2014 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben. Die Klage (S 16 KA 121/14) wies das Gericht in der mündlichen Verhandlung am 21.06.2017, in derselben mündlichen Verhandlung wie der der vorliegenden Sache, zurück.
Die Prüfungsstelle hatte mit dem Kläger einen Termin zur individuellen Beratung am 11.11.2014 um 9:00 Uhr vereinbart. Nachdem der Kläger telefonisch am 30.10.2014 mitgeteilt hatte, dass er diesen Termin aus familiären Gründen unmöglich werde wahrnehmen können, vereinbarte die Prüfungsstelle mit ihm einen neuen Termin, nämlich den 25.11.2014 um 9:00 Uhr. Die individuelle Beratung wurde dann zum genannten Termin von Frau C., einer Mitarbeiterin der Prüfungsstelle mit der Qualifikation als Physiotherapeutin, gegenüber dem Kläger in Anwesenheit seiner Bevollmächtigten durchgeführt. Der Kläger bestätigte die Durchführung auf einem entsprechenden Vordruck der Prüfungsstelle (Bl. 277 der Verwaltungsakte).
Unter dem Datum des 11.12.2014 erhielt der Kläger eine schriftliche Zusammenfassung der individuellen Beratung (Bl. 278-279 der Verwaltungsakte). Dieses 21-seitige Dokument gliedert sich in folgende Teile: A. Eine Zusammenfassung der besprochenen und im Dokument so bezeichneten allgemeinen Themen, B. Eine Wiedergabe der statistischen Ausgangslage, C. Eine Zusammenfassung der besprochenen und im Dokument so bezeichneten speziellen Themen und schließlich eine Zusammenfassung der Empfehlungen der Prüfungsstelle.
Gegen diese schriftliche Zusammenfassung legte der Kläger durch seine Bevollmächtigte am 18.11.2015 Widerspruch ein (Bl. 329 der Verwaltungsakte). Zu dessen Begründung ließ er vortragen:
Bei der individuellen Beratung handele es sich nicht um einen reinen Realakt, sondern einen Verwaltungsakt, gegen den ein Widerspruch zulässig sei, was näher ausgeführt wurde.
Der Widerspruch richte sich gegen die inhaltliche Unrichtigkeit der Beratung. Die individuelle Beratung sei durch Frau C. durchgeführt worden. Frau C. sei Physiotherapeutin. Streitgegenständlich im Rahmen der individuellen Beratung sei jedoch insbesondere die Frage der medizinischen Indikation der vom Kläger ausgestellten Verordnung und Verordnungsdauer in Bezug auf die manuelle Lymphdrainage in Verbindung mit der anschließenden Kompressionsbandagierung sowie der Verordnung als Teil der komplexen physikalischen Entstauungstherapie gewesen. Hierbei ging es insbesondere in jedem einzelnen Punkt um die medizinische Indikation der Verordnung. Es...