Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Arzneikostenregress. nicht zugelassenes Arzneimittel. Zuständigkeit der Prüfungsstelle. unwirtschaftliche Verordnungsweise. keine Beratungspflicht

 

Leitsatz (amtlich)

Ein nicht zugelassenes Arzneimittel (hier: Leukonorm) ist nicht verordnungsfähig. Der Ausschluss der Verordnungsfähigkeit folgt aus den Vorschriften des SGB 5, weshalb für einen Arzneikostenregress die Prüfungsstelle abschließend zuständig ist (vgl BSG vom 11.5.2011 - B 6 KA 13/10 R = BSGE 108, 175 = SozR 4-2500 § 106 Nr 32).

 

Orientierungssatz

1. Eine Verordnung von Leukonorm kommt auch nicht unter den vom BVerfG im Beschluss vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 aufgestellten Grundsätzen in Betracht.

2. Die Festsetzung eines Regresses ist nicht davon abhängig, dass die Prüfgremien den Vertragsarzt zuvor über die Unwirtschaftlichkeit seiner Verordnungsweise beraten haben (vgl BSG vom 15.8.2012 - B 6 KA 45/11 R = SozR 4-2500 § 106 Nr 36).

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Der Streitwert wird auf 7.404,04 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um einen Arzneikostenregress wegen der Verordnung von LeukoNorm in den Quartalen I/07 und IV/07 in Höhe von insgesamt 7.404,04 Euro (netto).

Der Kläger ist Direktor der HNO-Klinik der Städtischen Kliniken F., einem akademischen Lehrkrankenhaus der Universität F. Er ist zur vertragsärztlichen Behandlung ermächtigt.

Die Beigeladene beantragte zunächst für das Quartal III/06 die Feststellung eines sonstigen Schadens in Höhe von 2.177,72 Euro netto wegen der Verordnung von Leukonorm CytoChemia Injektionen 6er Set N2 für die bei der beigeladenen Versicherten QW.

Der Kläger führte hierzu aus, die 1974 geborene Versicherte leide unter einer Infektion mit einem humanen Papillomavirus, die bei ihr eine Larynxpapillomatose verursacht habe. Das HPV-Virus sei ein DNS-Virus, von dem bis heute mehr als 100 Typen bekannt seien, die sich entweder in der Haut oder in der Schleimhaut des Anogenitaltraktes oder oberen Aerodegistivtraktes ansiedelten. In der Haut führe HPV zu Warzen verschiedener Ausprägungen, im gynäkologischen Bereich führe es zu Condylomen und spiele eine große Rolle bei der Entstehung des Zervix-Karzinoms. Wegen der unbefriedigten chirurgischen Maßnahmen und den seltenen, aber gravierenden Fälle einer Generalisation der Erkrankung werde seit Jahren nach adjuvanten medikamentösen Therapien gesucht. In der Behandlung der gynäkologischen Papillomatose habe sich bisher das Präparat Leukonorm der Firma Cyto Chemia etabliert, das als Immunmodulator die körpereigene Abwehr gegen die Koantigene der HPV-Viren steigern könne. Auf Grund der desolaten Lage in der Behandlung des HPV-Virus im Larynx sei bei Frau QW. ein individueller Behandlungsversuch mit dem Immunmodulator unternommen worden. Unter dieser Therapie habe sich die Operationsfrequenz auf zwei Sitzungen pro Jahr reduzieren lassen. Im Moment sei die Patientin rezidivfrei. Es sei äußerst zweifelhaft, dass dieser bisherige Behandlungserfolg ohne die Immunmodulation durch Leukonorm eingetreten wäre. Die Patientin übe ihren Beruf (Flugbegleiterin) weiter aus, ihre Stimme sei belastbar und klangvoll.

Für das Quartal I/07 stellte die Beigeladene einen weiteren Antrag am 24.09.2007 hinsichtlich eines Verordnungsumfangs in Höhe von 3.702,17 Euro und für das Quartal IV/07 in Höhe von 3.701,87 Euro wegen weiterer Verordnungen für die Patientin QW, worauf der Kläger sein Vorbringen jeweils wiederholte. Die Beklagte verband alle drei Verfahren und setzte mit Bescheid vom 28.03.2011 eine Schadensersatzpflicht für das Quartal I/07 in Höhe von 3.702,17 Euro (netto) und für das Quartal IV/07 in Höhe von 3.701,87 Euro (netto), insgesamt in Höhe von 7.404,04 Euro (netto) fest. Für das Quartal III/06 stellte sie keine Schadensersatzpflicht fest. Zur Begründung führte sie aus, Leukonorm sei zunächst im Rahmen der Bestimmungen des Einigungsvertrages für einen Übergangszeitraum verkehrsfähig gewesen, um der Herstellerfirma Cyto Chemia Gelegenheit zu geben, die nach (west-)deutschem Arzneimittelrecht notwendigen Unterlagen zur Beantragung einer regulären Zulassung zusammenzustellen. Die auf dieser Grundlage erfolgte Ablehnung der Zulassung mache deutlich, dass Leukonorm allenfalls für den Einigungsvertrag genannten Zeitraum, maximal bis zur abschließenden Bewertung des Zulassungsantrags durch die Behörde eine Verkehrsfähigkeit und dabei eine Verordnungsfähigkeit besessen habe. Gegen den Bescheid habe die Firma Klage beim Verwaltungsgericht Darmstadt erhoben. Diese Klage habe aufschiebende Wirkung, sodass Leukonorm bis zu einer Gerichtsentscheidung weiterhin am Markt verfügbar sei. Die arzneimittelrechtliche Verkehrsfähigkeit begründe sich wegen der aufschiebenden Wirkung der Klage jedoch nicht auf einer tatsächlichen arzneimittelrech...

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