Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Unzulässigkeit der Verordnung eines fiktiv zugelassenen Arzneimittels auch unter verfassungsrechtlichen Grundsätzen. Festsetzung. Arzneikostenregress. keine vorherige Beratungspflicht. kein Verschuldenserfordernis

 

Leitsatz (amtlich)

Die Verordnung des Arzneimittels AHP 200, das nur eine fiktive Zulassung nach § 105 AMG (juris: AMG 1976) hat, ist unzulässig. Die in den Wobe Mugos E-Entscheidungen des BSG (vgl Urteil vom 27.9.2005 - B 1 KR 6/04 R = SozR 4-2500 § 31 Nr 3; Urteil vom 5.11.2008 - B 6 KA 63/07 R = SozR 4-2500 § 106 Nr 21 = USK 2008-106 = GesR 2009, 539) allgemein formulierten Maßstäbe sind auf die vorliegende Konstellation anwendbar.

 

Orientierungssatz

1. Eine Verordnung des Arzneimittels AHP 200 kommt auch nicht unter den vom BVerfG aufgestellten Grundsätzen in Betracht (vgl Beschluss vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5).

2. Die Festsetzung eines Regresses ist nicht davon abhängig, dass die Prüfgremien einen Vertragsarzt zuvor über die Unwirtschaftlichkeit seiner Verordnungsweise beraten haben (vgl BSG vom 15.8.2012 - B 6 KA 45/11 R = SozR 4-2500 § 106 Nr 36, juris-RdNr 12).

3. Ist einem Vertragsarzt eine unwirtschaftliche Verordnungsweise anzulasten, so ist ein Regress gegen ihn berechtigt, wobei dieser in Höhe des der Krankenkasse entstandenen Schadens festzusetzen ist. Ein Verschuldenserfordernis besteht im Rahmen von Honorarkürzungen oder Verordnungsregressen gemäß § 106 SGB 5 nicht (vgl BSG vom 5.11.2008 - B 6 KA 63/07 R aaO juris-RdNr 28 mwN). Im Übrigen schließt eine Unkenntnis vom Verordnungsausschluss ein Verschulden nicht aus.

4. Aktenzeichen beim LSG Darmstadt: L 4 KA 61/13 NZB

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

3. Die Berufung wird nicht zugelassen.

4. Der Streitwert wird auf 312,82 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um einen Arzneikostenregress für die Quartale I bis III/10 wegen der Verordnung des Arzneimittels AHP 200, das nur eine fiktive Zulassung nach § 105 AMG besitzt, in Höhe von 312,82 € netto.

Der Kläger ist Mitglied einer im streitbefangenen Zeitraum bestehenden Gemeinschaftspraxis mit Praxissitz in A-Stadt. Die Gemeinschaftspraxis bestand vom 01.07.2006 bis 31.03.2010 aus dem Kläger und Dr. C. und Dr. D. Vom 01. bis 05.04.2006 bestand sie ohne Dr. C. nur zwischen dem Kläger und Dr. D. Ab dem 06.04.2010 trat Herr E. der Gemeinschaftspraxis bei. Der Kläger schied zum 30.09.2012 aus der Gemeinschaftspraxis aus, ab dem 01.10.2012 trat ihr Herr Dr. F. bei. Der Kläger und Herr E. sind als Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie und Herr Dr. med. D. als Facharzt für Chirurgie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

Die zu 1) beigeladene Deutsche BKK beantragte unter Datum vom 12.12.2011 die Festsetzung eines Schadens wegen Verordnung des Arzneimittels AHP 200. Zur Begründung führte sie aus, dieses Arzneimittel sei als Altarzneimittel im Handel ohne behördliche Überprüfung auf Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und pharmazeutische Qualität. Eine Verlängerung der Zulassung (Nachzulassung) sei durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte im Jahr 2005 abgelehnt worden (Versagung nach § 105 Abs. 5 AMG). Seit diesem Zeitpunkt sei eine Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherungen unzulässig.

Die beklagte Prüfungsstelle informierte die Berufsausübungsgemeinschaft mit Schreiben vom 31.07.2012 über den Prüfantrag. Diese trug vor, die Verordnung sei aufgrund der Multimorbidität der Patientin erforderlich gewesen. Aus diesem Grund sei eine Einzelfallentscheidung medizinischerseits notwendig gewesen.

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 15.05.2013 einen zu erstattenden Regressbetrag in Höhe von 312,82 € netto (78,84 € für das Quartal I/10; 118,26 € für das Quartal II/10; 115,72 € für das Quartal III/10) fest. Zur Begründung führte sie aus, nach der langjährigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bestehe keine Zweckmäßigkeit und somit Wirtschaftlichkeit einer Arzneimittelverordnung, wenn für das verwendete Arzneimittel die erforderliche Zulassung fehle. Allein die Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels begründe noch keinen Anspruch auf die Versorgung mit diesem Arzneimittel durch die gesetzliche Krankenversicherung. Bei dem Präparat AHP 200 sei die Verlängerung der Zulassung (Nachzulassung) am 27.09.2005 versagt worden. Dieses Arzneimittel gelte entsprechend § 105 Abs. 1 AMG als “fiktiv„ zugelassen mit der Konsequenz, dass es weiterhin verkehrsfähig bleibe. Gegen die Versagung der Nachzulassung sei bereits ein Gerichtsverfahren anhängig, welches noch nicht abgeschlossen sei. Dies bewirke zwar eine aufschiebende Wirkung, jedoch vielmehr im Bereich des Verfahrensrechts und nicht hinsichtlich der Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels (§ 1 AMG). Für die sozialrechtliche Verordnungsfähigkeit sei dies jedoch ohne Auswirkung. Die Verordnung des Präparats sei daher unw...

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