Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Umsetzung unquotierter Prüfbescheide. Konkretisierung durch Verwaltungsakt. allgemeine sozialrechtliche Verjährungsfrist von 4 Jahren. grundsätzliche Befugnis einer Kassenärztlichen Vereinigung zur Aufrechnung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Umsetzung "unquotierter" Prüfbescheide, auch soweit die Prüfverfahren vergleichsweise beendet werden und lediglich ebf "unquotierte" Kürzungsbeträge festgesetzt werden, bedarf es der Konkretisierung durch Verwaltungsakt (vgl SG Marburg vom 13.8.2015 - S 16 KA 557/14). Hierfür gilt die allgemeine sozialrechtliche Verjährungsfrist von vier Jahren. Die dreißigjährige Verjährungsfrist nach § 197 Abs 1 Nr 4 BGB kommt nicht in Betracht, da es einem "unquotierten" Prüfbescheid oder Vergleich an der Bestimmtheit und damit Vollstreckbarkeit fehlt.

 

Orientierungssatz

Eine Kassenärztliche Vereinigung ist grundsätzlich befugt, eine Forderung gegenüber einem Vertragsarzt mit der laufenden Honorarzahlung aufzurechnen.

 

Tenor

1. Unter Aufhebung des Bescheids vom 23.09.2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 15.04.2015 wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 14.194,31 € zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Festsetzung eines Kürzungsbetrags aufgrund vergleichsweise abgeschlossener Wirtschaftlichkeitsprüfverfahren in Höhe von insgesamt 14.194,31 € und die Aufrechnung mit dem Kürzungsbetrag.

Der Kläger ist als Internist und Kardiologe zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen.

Die Beklagte teilte dem Kläger mit Bescheid vom 23.09.2014 mit, dass sich aufgrund eines Wirtschaftlichkeitsprüfverfahrens und der Vergleiche vor dem LSG Hessen vom 05.07.2006 und des Sozialgerichts vom 14.09.2007 noch Kürzungsbeträge für die Quartale III/97 bis I/98 in Höhe von insgesamt 14.194,31 € ergäben, womit sie das Honorarkonto für das Quartal III/14 belasten werde.

Hiergegen legte der Kläger am 02.12.2014 Widerspruch ein. Zur Begründung seines Widerspruchs führte er aus, es erschließe sich ihm nicht, auf welcher Rechtsgrundlage die beabsichtigten Kürzungen tatsächlich durchgeführt werden sollten. Er bitte daher um Übersendung der Bescheide und Vergleiche.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.2015 den Widerspruch als unzulässig zurück. In den Bescheidgründen führte sie aus, bei ihrem Schreiben vom 23.09.2014 handele es sich um keinen Verwaltungsakt, da lediglich die Vergleiche vollzogen würden. Die Vergleiche ließen die für die Berechnung der Rückforderung entscheidenden Berechnungsfaktoren erkennen.

Hiergegen hat der Kläger am 11.05.2015 die Klage erhoben. Er trägt vor, die Vergleiche seien vor acht oder neun Jahren geschlossen worden. Ausgehend von einer vierjährigen Bearbeitungsfrist hätte der Vorgang spätestens in 2012 abgeschlossen sein müssen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Bescheids vom 23.09.2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 15.04.2015 die Beklagte zu verurteilen, 14.194,31 € Honorar an ihn nach zu vergüten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage als unzulässig abzuweisen.

Sie ist weiterhin der Auffassung, ein Verwaltungsakt liege nicht vor. Es gelte die dreißigjährige Verjährungsfrist. Im Übrigen verweist sie auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte sowie weiter beigezogenen Verfahrensakten des SG Frankfurt a. M. zum Az.: S 28 KA 58/07 WA und S 5 KA 199/00, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Klage ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid vom 23.09.2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 15.04.2015 ist rechtswidrig. Er war daher aufzuheben. Der Kläger hat einen Anspruch auf Nachvergütung seines Honorars in Höhe von 14.194,31 €. Der Klage war stattzugeben.

Die Beklagte war wegen Verjährung nicht zur Festsetzung des Kürzungsbetrags berechtigt. Wegen einer damit fehlenden Gegenforderung konnte die Beklagte auch nicht mit laufenden Honorarzahlungen aufrechnen. Eine Forderung, der die Einrede der Verjährung entgegensteht, kann nach § 390 Satz 2 BGB nur aufgerechnet werden, wenn die verjährte Forderung zu der Zeit, zu welcher sie gegen die andere Forderung aufgerechnet werden kann, noch nicht verjährt ist. Im Übrigen war der Widerspruchbescheid auch aufzuheben, weil der Widerspruch zulässig war. Bei dem Schreiben Bescheid vom 23.09.2014 handelt es sich um einen Bescheid i. S. ...

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