Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Nebenbetriebsstätte als Tätigkeitsort der ärztlichen Leitung eines MVZ. Erforderlichkeit der Beachtung der Gesamtverantwortung im Einzelfall. regelmäßige Zulässigkeit bei üblicher Erreichbarkeit der Hauptbetriebsstätte in 30min. gleicher Maßstab wie bei der Erreichbarkeit ausgelagerter Praxisräume

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Tätigkeitsort einer ärztlichen Leitung eines MVZ kann auch eine Nebenbetriebsstätte des MVZ sein, sofern der Gesamtverantwortung im Einzelfall dadurch hinreichend Rechnung getragen wird.

2. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn zwischen Nebenbetriebs- und Hauptbetriebsstätte eine Distanz liegt, die in weniger als 30min zu überbrücken ist.

 

Orientierungssatz

Die vom Gericht als Maßstab gewählte Zeitspanne orientiert sich bewusst an der vom BSG für die Erreichbarkeit von ausgelagerten Praxisräumen angenommenen Zeitspanne (vgl BSG Urteil vom 6.4.2022 - B 6 KA 12/21 R = SozR 4-5520 § 24 Nr 15).

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000€ festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtsfrage, ob die ärztliche Leitung eines MVZ an der Hauptbetriebsstätte tätig sein muss.

Die Beigeladene zu 7) nimmt in Form eines MVZ an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Sie unterhält außer der Hauptbetriebsstätte A-Stadt, A-Straße noch zwei Nebenbetriebsstätten in A-Stadt, C-Straße und in D-Stadt, D-Straße.

Das MVZ verfügt über folgende ärztliche Besetzung:

• E., 20 Std./Woche, Frauenärztin (bis 31. März 2023)

• Dr. med. F., 9 Std./Woche, Frauenärztin

• G., 15 Std./Woche, Fachärztin für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Zweigpraxis in A-Stadt, C-Straße

• S., 32 Std./Woche, Fachärztin für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Zweigpraxis in D-Stadt, D-Straße

• Dr. med. J., 20 Std./Woche, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Zweigpraxis in D-Stadt, D-Straße

• Dr. med. univ. K., 18 Std./Woche, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Zweigpraxis in D-Stadt, D-Straße

Mit Beschluss vom 21. Juni 2022 stellte der Zulassungsausschuss fest, dass das MVZ der Beigeladene zu 7) einerseits mit Wirkung zum 1. Juli 2022 nicht mehr unter der ärztlichen Leitung des Frauenarztes H. steht; andererseits wurde jedoch der weitere Antrag der Beigeladene zu 7) abgelehnt, die lediglich an einer Nebenbetriebsstätte der Beigeladene zu 7) in D-Stadt angestellte Fachärztin für Kinderheilkunde und Jugendmedizin S. als ärztliche Leiterin des MVZ anzuerkennen. Der Zugang der an der Nebenbetriebsstätte des MVZ angestellten Fachärztin für Kinderheilkunde und Jugendmedizin S. als ärztliche Leiterin des MVZ sei abzulehnen. Der/Die Leiter*in eines MVZ müsse an der Hauptbetriebsstätte angestellt sein, um seine/ihre gesetzlich vorgeschriebene Funktion ausüben zu können. Zudem ergebe sich bereits aus der Gesetzessystematik, dass nur eine Anstellung an der Hauptbetriebsstätte möglich sei. Aus dem Wortlaut des § 95 Abs. 1 S. 2 und S. 3 SGB V sei zu schließen, dass die Funktion der ärztlichen Leitung durch im MVZ selbst angestellte oder als Vertragsarzt/Vertragsärztin tätige Ärzte ausgeübt werden solle. Nur so könne der mit der ärztlichen Leitung verfolgte Zweck erreicht werden, dass dieser die Verantwortung für die ärztliche Steuerung der Betriebsabläufe und eine Gesamtverantwortung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung obliegen solle. Insoweit verlange die Ausübung dieser Leitungsfunktion die Präsenz des entsprechenden Arztes am Hauptstandort des MVZ, weil nur so die Erfüllung dieser besonderen Pflichtenstellung gewährleistet werden könne. Dies ergebe sich auch daraus, dass die überwiegende ärztliche Tätigkeit eines MVZ an dessen Hauptbetriebsstätte stattfinden müsse. Denn § 17 Abs. 1a Satz 5 BMV-Ä i.V.m. 24 Abs. 3 Satz 5 Ärzte-ZV schreibe vor, dass in Fällen der Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit an mehreren Orten die Tätigkeit am Vertragsarztsitz zeitlich insgesamt überwiegen müsse. Damit der/die Leiter*in eines MVZ seine/ihre Verantwortung für die ärztliche Steuerung der Betriebsabläufe übernehmen könne, müsse diese*r auch an dem Ort beschäftigt sein, an dem die überwiegenden ärztlichen Leistungen erbracht werden müssten. Denn nur eine Leitung, die in die überwiegende Organisations- und Versorgungsstrukturen des MVZ eingebunden sei, habe tatsächlich Einwirkungsmöglichkeiten auf die gesamten Abläufe und könne sicherstellen, dass ärztliche Entscheidungen unabhängig von sachfremden Erwägungen getroffen würden. Mit einer Anstellung an einer untergeordneten Nebenbetriebsstätte könne somit die gesetzlich vorgeschriebene Funktion eines ärztlichen Leiters/einer ärztlichen Leiterin nicht in einem ausreichenden Maß erfüllt werden. § 95 Abs. 1 S. 3 SGB V sei mithin so zu lesen, dass der ärztliche Leiter als konstitutives Merkmal eines MVZ an der Hauptbetriebsstätte tätig sein müsse.

Gegen diesen Beschluss legte die Beigeladene zu 7) Widerspruch ein. Die Begründung des Zulassungsausschusses für Ärzte entbehre einer normati...

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