Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Medizinisches Versorgungszentrum. fachübergreifende Tätigkeit. Zweigpraxis. Präsenzpflicht am Vertragsarztsitz. Übernahme einer Arztpraxis im Wege der Praxisnachfolge
Leitsatz (amtlich)
Ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) muss am Vertragsarztsitz alle ärztlichen
Leistungen erbringen, um fachübergreifend tätig zu sein. Leistungen eines Fachgebiets können nicht ausschließlich in einer Zweigpraxis erbracht werden.
Für die Präsenzpflicht am Vertragsarztsitz im Verhältnis zur Zweigpraxis gilt für ein MVZ die Maßgabe, dass die angegebenen Mindestzeiten für den Versorgungsauftrag des MVZ insgesamt unabhängig von der Zahl der beschäftigten Ärzte anzuwenden sind (§ 17 Abs 1a S 4 BMV-Ä/§ 13 Abs 7a S 4 EKV-Ä). Es reicht aus, dass die Summe der Tätigkeitszeiten aller am Vertragsarztsitz tätigen Ärzte alle Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes zeitlich insgesamt überwiegen (Bestätigung von SG Marburg vom 23.11.2007 - S 12 KA 465/07 ER -; SG Marburg vom 22.02.2008 - S 12 KA 47/08 ER - und SG Marburg vom 09.04.2008 - S 12 KA 93/08 ER).
Orientierungssatz
Hat ein MVZ eine Praxis im Wege der Praxisnachfolge übernommen, besteht von Gesetzes wegen ein Versorgungsbedarf am weiteren Ort im Umfang der bestehenden Praxis.
Tenor
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 02. und 20.08.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2008 verpflichtet, die Klägerin über ihren Antrag auf Genehmigung zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit an einem weiteren Ort in der U-Straße, U-Stadt unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin und die Gerichtskosten jeweils zu 1/2 zu tragen.
1/2 der Gerichtskosten hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die vorläufige Genehmigung der vertragsärztlichen Tätigkeit an einem weiteren Ort.
Die Klägerin ist als Medizinisches Versorgungszentrum mit Praxissitz in der A-Strasse, A-Stadt, zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. In ihr waren zunächst ein Facharzt für Nuklearmedizin und ein Facharzt für Radiologie angestellt.
Mit Beschluss des Zulassungsausschusses für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen vom 30.01.2007 gab dieser dem Antrag der Klägerin auf Übernahme gemäß des § 103 Abs. 4 SGB V ausgeschriebenen Vertragsarztsitzes des Frauenarztes D, U-Stadt, Hochtaunuskreis statt. Ferner stellte der Zulassungsausschuss fest, dass die vertragsärztliche Tätigkeit durch die ab 01.02.2007 in Vollzeit bei der Klägerin mit einer wöchentlichen Regelarbeitszeit von 38 Stunden beschäftigte angestellte Frauenärztin E weitergeführt werde. Ferner wurde Frau E mit Wirkung zum 01.02.2007 zur ärztlichen Leiterin des Medizinischen Versorgungszentrum X. bestellt.
Die Klägerin beantragte unter Datum vom 06.03.2007 die Genehmigung der vertragsärztlichen Tätigkeit an einem weiteren Ort mit den Fachgebieten Radiologie und Gynäkologie am Sitz der übernommenen gynäkologischen Praxis. Zur Begründung führte sie aus, die Praxis Dr. F sei mit etwa 1.000 Patienten im Quartal und einer belegärztlichen Tätigkeit an den JB.Kliniken, Krankenhaus NU., für die bedarfsgerechte Versorgung der Versicherten in U-Stadt und im NU. Land - dem Land des ehemaligen Landkreises Hochtaunus/NU. mit 7 Städten und Gemeinden und ca. 70.000 Einwohnern - wesentlich und notwendig. Eine Fortführung der Tätigkeit in den Räumen der Praxis würde daher die Versorgung der Versicherten an dem Ort des Praxissitzes verbessern bzw. aufrechterhalten. Neben der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung sei die belegärztliche bzw. konsiliarische Tätigkeit am Krankenhaus NU. vorgesehen. Ein Verlust des gynäkologischen Angebots an diesem Ort würde nicht nur zu einer Unterversorgung, sondern auch zu einer erheblichen Erschwerung der Erfüllung des Versorgungsauftrages des Krankenhauses als Notfallstandort führen. Durch das Angebot des MVZ werde die Versorgung innerhalb der sprechstundenfreien Zeiten und die gynäkologische Notdienstversorgung sichergestellt. Die Situation im Fachgebiet Radiologie stelle sich im Hochtaunuskreis so dar, dass von den sieben im Hochtaunuskreis vorhandenen vertragsärztlichen Zulassungen sechs bei der Gemeinschaftspraxis G und Koll. in A-Stadt und eine in ihrem MVZ betrieben werde. Das gesamte NU. Land verfüge damit nicht über ein adäquates Angebot der ambulanten radiologischen Versorgung. Langfristig plane sie, in U-Stadt die radiologische Versorgung zu verbessern. Sie wäre auch bereit, ein nuklearmedizinisches Angebot zu etablieren. Die Versorgung in A-Stadt selbst sehe sie als ausreichend an, weshalb durch eine Verlegung des gynäkologischen Sitzes dort nur ein zusätzliches Angebot geschaffen werde. Ergänzend führte sie unter Datum vom 23.03.2007 aus, dass sie ihr Leistungsangebot im Bereich der Gynäkologie am Standort U-Stadt auch auf die ambulante Chemotherapie (Biphosphonatinfus...