Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Zulassungsentziehung. Zulassungsgremien. keine Aussetzung des Verfahrens wegen anhaltender staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen oder eines gerichtlichen Strafverfahrens. Berufung auf bestandskräftige und nicht bestandskräftige Honorarberichtigungsbescheide. keine unverhältnismäßige Maßnahme bei fehlerhafter Abrechnung in mehreren Quartalen mit einem Schaden in Höhe von wenigstens über 180.000 €. Vorliegen. gröbliche Pflichtverletzung. Verfahrensverstoß nach § 37 Abs 2 S 1 Ärzte-ZV
Leitsatz (amtlich)
1. Weder die Zulassungsgremien noch die Gerichte sind verpflichtet, ein Zulassungsentziehungsverfahren wegen anhaltender staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen oder eines gerichtlichen Strafverfahrens auszusetzen (vgl bereits SG Marburg vom 4.4.2016 - S 12 KA 827/15 - juris).
2. Die Zulassungsgremien und Gerichte können sich bei einer Zulassungsentziehung wegen gröblicher Pflichtverletzung auf bestandskräftige und nicht bestandskräftige Honorarberichtigungsbescheide berufen, ohne in eine detaillierte Prüfung einzutreten, jedenfalls dann, wenn es an der Offensichtlichkeit einer Rechtswidrigkeit der Bescheide oder an einem substantiierten Vorbringen des Vertragsarztes fehlt.
3. Eine Zulassungsentziehung aufgrund fehlerhafter Abrechnung in mehreren Quartalen mit einem Schaden in Höhe von wenigstens über 180.000 € ist nicht unverhältnismäßig.
Orientierungssatz
1. Zum Vorliegen einer gröblichen Pflichtverletzung im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung (stRspr, vgl zuletzt BSG vom 11.2.2015 - B 6 KA 37/14 B = juris RdNr 11).
2. Bei einem Verfahrensverstoß nach § 37 Abs 2 S 1 Ärzte-ZV handelt es sich nicht um einen absoluten Fehler. Ein solcher liegt vor, wenn nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift bestimmten Beteiligten in ihrem Interesse oder im Interesse einer besonderen Befriedungs- und Konsensfunktion eine vom Ausgang des Verfahrens unabhängige, selbständig durchsetzbare Verfahrensposition eingeräumt wird (vgl BVerwG vom 28.4.2009 - 1 WB 29/08 = Buchholz 449 § 29 SG Nr 8 = juris RdNr 31).
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu tragen. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Der Streitwert wird auf 265.860,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Zulassungsentziehung wegen gröblicher Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten, insb. wegen verschiedener fehlerhafter Honorarabrechnungen, u. a. aufgrund zeitbezogener Plausibilitätsprüfungen der Quartale II/08 bis III/13.
Der 1948 geborene und jetzt 67-jährige Kläger wurde 1990 als Facharzt für Anästhesie mit Praxissitz in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er ist in einer Einzelpraxis tätig.
Die zu 1) beigeladene Kassenärztliche Vereinigung Hessen beantragte beim Zulassungsausschuss für Ärzte mit Schreiben vom 13.12.2010 die Entziehung der Zulassung des Klägers. Der Zulassungsausschuss entzog mit Beschluss vom 19.04.2011 dem Kläger die Zulassung, weil er trotz Beschluss des Disziplinarausschusses weitere Notdienste am 26./27.06.2010 wiederum nicht wahrgenommen habe Den hiergegen eigelegten Widerspruch wies der beklagte Berufungsausschuss für Ärzte mit Beschluss vom 16.01.2013 als unbegründet zurück. Nach Klage zum Az.: S 12 KA 169/13 haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 04.06.2014 folgenden Vergleich geschlossen:
1. Der Kläger gewährleistet, dass Postsendungen der Beigeladenen zu 1) und sonstiger Stellen der vertragsärztlichen Verwaltung ihn unter seiner Praxisadresse erreichen und die Annahme nicht verweigert wird. Es obliegt seiner Verantwortung, wie er im Falle seiner Ortsabwesenheit erreicht wird bzw. über den Inhalt Kenntnis erlangt.
2. Der Kläger erkennt an, dass er grundsätzlich zur Teilnahme im ärztlichen Bereitschaftsdienst verpflichtet werden kann, auch durch den Obmann. Hiervon unberührt bleibt das Recht des Klägers zur Einlegung von Rechtsmitteln.
3. Der Kläger verpflichtet sich, einen ständigen Vertreter für den ärztlichen Bereitschaftsdienst zu benennen. Der Kläger verpflichtet sich weiter, für den kommenden Notdienst im September 2014 einen Vertreter bis Ende Juli gegenüber der Beigeladenen zu 1) zu benennen.
4. Der Beklagte hebt den Entziehungsbescheid auf.
5. Der Kläger trägt die Gerichtskosten und seine eigenen Kosten. Weitere Kosten sind gegenseitig nicht zu erstatten.
6. Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit für erledigt.
Die Beigeladene zu 1) setzte mit Bescheid vom 21.11.2012 eine Honorarrückforderung in Höhe von 104.093,68 € wegen einer zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung der Quartale II/08 bis IV/10 fest. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beigeladene zu 1) mit Widerspruchsbescheid vom 24.07.2013 als unzulässig zurück. Die Beigeladene zu 1) setzte mit Bescheid vom 10.07.2013 eine Honorarrückforderung in Höhe von 78.264,33 € wegen einer zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung der Quartale I/11 bis II/12 fest. Den...