Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Arzneikostenregress. Arzneimittel Aggrenox. Wirkstoffkombination aus Acetylsalicylsäure und Dipyridamol. Verordnung nur in Ausnahmefällen. besondere sozialrechtliche Dokumentationspflicht. keine besondere Pflicht zur Bekanntgabe der Begründung. Behandlungsdokumentation. Nachreichung im Gerichtsverfahren. Prüfungsstelle. kein Beurteilungs- und Ermessensspielraum
Leitsatz (amtlich)
1. Bei dem Arzneimittel Aggrenox handelt es sich um eine Wirkstoffkombination aus Acetylsalicylsäure und Dipyridamol. Das Arzneimittel unterfällt damit den Regelungen zum Ausschluss fixer Wirkstoffkombinationen und kann nur in Ausnahmefällen verordnet werden (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 28.6.2016 - L 7 KA 16/14 KL = PharmR 2017, 31).
2. Es besteht eine besondere sozialrechtliche Dokumentationspflicht, nicht aber eine besondere Pflicht zur Bekanntgabe der Begründung.
3. Die Behandlungsdokumentation kann in Verfahren, in denen die Prüfungsstelle abschließend entscheidet, im Gerichtsverfahren nachgereicht werden.
Orientierungssatz
Für die Verfahren, in denen die Prüfungsstelle abschließend zuständig ist, kommt ihr weder ein Beurteilungs- noch ein Ermessensspielraum zu, auch handelt es sich nicht um ein fachlich besetztes Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung, die zudem mit unterschiedlichen Interessenvertretern besetzt ist.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um einen Arzneikostenregress für die Quartale I/15 bis III/15 wegen der Verordnung des Arzneimittels Aggrenox in einem Behandlungsfall in Höhe von insgesamt 406,02 € netto.
Die Klägerin ist als Fachärztin für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen.
Die Beigeladene stellte für die streitbefangenen Quartale am 26.02.2016 wegen der Verordnung der strittigen Arzneimittel im Behandlungsfall ihres Versicherten P1, geb. 1941, mit insgesamt sechs Verordnungen bei der Beklagten einen Antrag auf Festsetzung eines Regresses, weil für das Arzneimittel Aggrenox gem. Anlage III Nr. 53 der Arzneimittel-Richtlinie ein Verordnungsausschluss bestehe.
Die Beklagte übersandte der Klägerin den Prüfantrag. Die Klägerin äußerte sich nicht zum Prüfantrag.
Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 22.06.2016, zugestellt am 04.07.2016, für die streitbefangenen Quartale den strittigen Regress in Höhe von 406,02 € (netto) fest,
und zwar für die einzelnen Quartale wie folgt:
Quartal Regress in €
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I/15 |
135,34 |
II/15 |
135,34 |
III/15 |
135,34 |
Zur Begründung führte sie aus, nach der Lauer Taxe handele es sich bei den beanstandeten Medikamenten um eine Wirkstoffkombination aus Acetylsalicylsäure und Dipyridamol. Nach Anlage III Nr. 53 der Arzneimittel-Richtlinie unterliege Dipyridamol in Kombination mit Acetylsalicylsäure (ASS) einem Verordnungsausschluss. Eine Ausnahmeregelung habe der GBA nicht festgelegt. Der GBA habe zur Begründung auf den fehlenden Zusatznutzen und den Beleg für einen größeren Schaden hingewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin am 25.07.2016 die Klage erhoben. Sie trägt vor, die Begründung des GBA sei medizinisch nicht gesichert und kritisch zu hinterfragen. In der Leitlinie der American College of Chest Physicians werde Aggrenox (bei ischämischen Schlaganfall) sogar der Monotherapie vorgezogen. Es gebe weitere britische Studien mit entsprechendem Ergebnis. In der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie werde Aggrenox mit mittlerer Empfehlungsstärke für Schlaganfallpatienten mit Rückfallrisiko beschrieben. Sie habe den Patienten seit September 2007 bei der Diagnose "Hirninfarkt" mit dem strittigen Präparat behandelt. Hierzu überreiche sie Auszüge aus den Patientenunterlagen. Sie überreiche ferner ein Schreiben der AAF. Klinik VM. vom 11.09.207, dem auch die Therapieempfehlung Aggrenox zu entnehmen sei. Auch in der Nachsorge werde diese Empfehlung aufrechterhalten (Arztbriefe vom 25.02.2014 und 13.04.2015). Am 24.01.2014 habe die Klinik die Verordnung von Aggrenox neben ASS empfohlen, was sie im Arztbrief vom 08.10.2015 wiederholt habe. Dieser Empfehlung sei sie nicht gefolgt. Medizinisch bestehe eine Einigkeit bzgl. der Verordnung. Die Therapie sei bereits vor dem Verordnungsausschluss begonnen worden. Eine Umstellung verursache eine nachteilige Symptomatik. Sie habe bei zweifelhaftem Verordnungsausschluss höchst ausnahmsweise mit ausreichender und dokumentierter Begründung zum Wohle des Patienten das strittige Präparat zulässigerweise verordnet. Die alleinige Gabe von ASS oder Clopidrogel hätte die unmittelbare Gefahr einer wiederholten Apoplexie mit sich gebracht. Nachdem sie Aggrenox seit 2007 verordnet habe, habe keine Veranlassung bestanden, die Arzneimittelgabe umzustellen. Bis zum Ausschluss des Arzneimittels habe keine Veranlassung zur Dokumentation bestanden. Soweit im Moment des Ausschlusses der Gesundheitszustand des Patienten sta...