Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarztangelegenheiten
Orientierungssatz
Parallelentscheidung zu dem Urteil des SG Marburg vom 13.9.2017 - S 12 KA 349/16, das vollständig dokumentiert ist.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um einen Arzneikostenregress für die Quartale II/14 bis I/15 und III/15 wegen der Verordnung des Arzneimittels Aggrenox in einem Behandlungsfall in Höhe von insgesamt 615,32 EUR netto.
Die Klägerin ist als Fachärztin für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen.
Die Beigeladene stellte für die streitbefangenen Quartale am 12.05.2016 wegen der Verordnung der strittigen Arzneimittel im Behandlungsfall ihres Versicherten C., geb. 1942, mit insgesamt acht Verordnungen bei der Beklagten einen Antrag auf Festsetzung eines Regresses, weil für das Arzneimittel Aggrenox gem. Anlage III Nr. 53 der Arzneimittel-Richtlinie ein Verordnungsausschluss bestehe.
Die Beklagte übersandte dem Kläger den Prüfantrag. Der Kläger äußerte sich nicht zum Prüfantrag.
Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 08.12.2016, zugestellt am 10.12.2016, für die streitbefangenen Quartale den strittigen Regress in Höhe von 615,32 EUR (netto) fest, und zwar für die einzelnen Quartale wie folgt:
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Quartal |
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Regress in EUR |
II/14 |
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153,80 |
III/14 |
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76,90 |
IV/14 |
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76,90 |
I/15 |
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153,86 |
III/15 |
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153,86 |
Zur Begründung führte sie aus, nach der Lauer Taxe handele es sich bei den beanstandeten Medikamenten um eine Wirkstoffkombination aus Acetylsalicylsäure und Dipyridamol. Nach Anlage III Nr. 53 der Arzneimittel-Richtlinie unterliege Dipyridamol in Kombination mit Acetylsalicylsäure (ASS) einem Verordnungsausschluss. Eine Ausnahmeregelung habe der GBA nicht festgelegt. Eine medizinische Ausnahmesituation nach § 31 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 16 Abs. 5 Arzneimittel-Richtlinie setze eine hier fehlende Begründung in unmittelbar zeitlichen Zusammenhang voraus. Der GBA habe zur Begründung auf den fehlenden Zusatznutzen und den Beleg für einen größeren Schaden hingewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin am 20.12.2016 die Klage erhoben. Sie trägt vor, die Begründung des GBA sei medizinisch nicht gesichert und kritisch zu hinterfragen. In der Leitlinie der American College of Chest Physicians werde Aggrenox (bei ischämischen Schlaganfall) sogar der Monotherapie vorgezogen. Es gebe weitere britische Studien mit entsprechendem Ergebnis. In der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie werde Aggrenox mit mittlerer Empfehlungsstärke für Schlaganfallpatienten mit Rückfallrisiko beschrieben. Sie habe den Patienten seit Februar 2012 bei den Diagnosen "Ataktische Zerebralparese, Tetraparese aufgrund Multiple Cebri post Infarkte und cerebelläre Infarkte" mit dem strittigen Präparat behandelt. Hierzu überreiche sie Auszüge aus den Patientenunterlagen. Sie überreiche ferner ein Schreiben der Asklepios Neurologische Klinik Königstein vom 10.02.2012, dem auch die Therapieempfehlung Aggrenox zu entnehmen sei. Auch der Neurologe Dr. D. habe sich dieser Empfehlung angeschlossen. Dem Patienten sei es besser gegangen, seit dem 11.04.2016 gehe es ihm unter der Gabe von ASS 100 erheblich schlechter. Die Therapie sei bereits vor dem Verordnungsausschluss begonnen worden. Eine Umstellung verursache eine nachteilige Symptomatik.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 08.12.2016 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist weiterhin der Auffassung, die Verordnung von Aggrenox sei nach der Arzneimittel-Richtlinie mit nachvollziehbarer Begründung des GBA ausgeschlossen. Die von der Klägerin angeführten Leitlinien seien nicht geeignet, die tragenden Gründe des GBA zu widerlegen. Die erstmals im Klageverfahren vorgelegte Dokumentation sei unzureichend. Es liege weder eine ausreichende Dokumentation zum bisherigen Krankheits- und Behandlungsverlauf, noch zu den Gründen der Verordnung. Der Vertragsarzt sei für seine Verordnung verantwortlich und nicht an Vorgaben der Klinik, aus der der Patient entlassen worden sei, gebunden. Bis zum Ausschluss des Arzneimittels habe keine Veranlassung zur Dokumentation bestanden. Soweit im Moment des Ausschlusses der Gesundheitszustand des Patienten stabil sei und eine Änderung die Gefahr eines Rezidivs bestehe, bestehe keine Veranlassung zu einer weitergehenden Dokumentation. Im Hinblick auf die Stabilität des Gesundheitszustandes habe keine Alternative bestanden.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 16.01.2017 die Beiladung ausgesprochen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin aus den Kreisen der Krankenkassen sowie einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es...