Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung. Honorarverteilungsvertrag. Ermächtigung des Vorstands. Änderungen an den arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen. Verstoß. Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit. Arztpraxis. Abdeckung eines zur Fachgruppe atypischen Versorgungsbedarfs. Vorliegen eines atypischen Ausnahmefalls
Leitsatz (amtlich)
1. In einem Honorarverteilungsvertrag kann ein Vorstand einer Kassenärztlichen Vereinigung ermächtigt werden, aus Gründen der Sicherstellung der ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung praxisbezogene Änderungen an den arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen (Regelleistungsvolumina) vorzunehmen.
2. Eine Ungleichbehandlung und damit ein Verstoß gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit kann dann vorliegen, wenn die Praxis einen zur Fachgruppe atypischen Versorgungsbedarf abdeckt. In diesem Fall ist eine Ermessensentscheidung über eine Ausnahme zu den Regelleistungsvolumina zu treffen. Es ist unzulässig, einen Vertragsarzt von vornherein darauf zu verweisen, er könne auf seine Spezialisierung verzichten.
3. Bei einer chirurgischen Praxis, bei der es sich bei 83,9 % aller Behandlungsfälle um proktologische Fälle handelt, liegt ein atypischer Ausnahmefall vor.
Nachgehend
Tenor
1. Unter Aufhebung des Bescheides vom 21.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2006 wird die Beklagte verurteilt, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Gerichtskosten haben die Kläger gemeinsam und die Beklagte jeweils zu ½ zu tragen. Die Beklagte hat den Klägern jeweils die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Zuerkennung einer Sonderregelung für das Regelleistungsvolumen ab dem Quartal II/05.
Der Kläger zu 1) war im Rahmen einer Sonderbedarfszulassung bis zum 08.08.2005 als Facharzt für Chirurgie niedergelassen. Zum 09.08.2005 erfolgte eine Umwandlung der Zulassung zum Facharzt für Chirurgie mit der Schwerpunktbezeichnung Viszeralchirurgie. Dr. D wurde als Facharzt für Chirurgie am 09.08.2005 zugelassen. Die Klägerin zu 2) ist eine Gemeinschaftspraxis mit Praxissitz in A-Stadt, bestehend seit 09.08.2005 aus dem Kläger zu 1) und Dr. D mit Praxissitz in A-Stadt. Nach dem Honorarverteilungsvertrag der Beklagten gehören sie der Honorar(unter)gruppe der Fachärzte für Chirurgie, B 2.23 an und ist die Praxis der Fachgruppe/Arztgruppe VfG 17 00 zugeordnet. Der Kläger zu 1) ist berechtigt, Koloskopien zu erbringen und abzurechnen. Mit Honorarbescheid vom 28.06.2005 für das Quartal II/05 setzte die Beklagte das Bruttohonorar für den Primär- und Ersatzkassenbereich auf insgesamt 175.320,11 € fest.
Am 21.07.2005 beantragte der Kläger zu 1) unter Hinweis auf die aktuellen Regelleistungsvolumina eine dem Schwerpunkt und den Besonderheiten der Praxis angemessene Fallpunktzahl zur Berechnung eines angemessenen Regelleistungsvolumens. Er nahm Bezug auf entsprechende Gespräche seiner Partner, einer Praxis im Praxisverbund Enddarmzentrum Mittelhessen und der dort zuständigen KV-Bezirksstelle GD..
Mit Bescheid vom 21.10.2005 wies die Beklagte den Antrag ab. Sie wies darauf hin, Sonderanträge zur Bildung des Regelleistungsvolumens könnten nach einer Festlegung des Vorstands nur noch in Einzelfällen bei Vorliegen einer absoluten Sicherstellungsproblematik per Beschluss des Vorstands erfolgen. Als Bewertungsvorgabe sei ein “Sicherstellungsradius„ von 50 km festgelegt worden, d. h. Patienten würden ggf. größere Entfernungen - speziell zur fachärztlichen Versorgung - zugemutet. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien habe leider keine Möglichkeit bestanden, dem Antrag stattzugeben.
Hiergegen legten die Kläger am 03.11.2005 Widerspruch ein. Sie wiesen darauf hin, dass mit Ausnahme der Praxis im Praxisverbund keine fachkoloproktologische und fachviszeralchirurgische Versorgung im ambulanten Bereich im Umkreis von 50 km um A-Stadt stattfinde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2006, der Klägerin zu 2) zugestellt am 20.12., wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. In den Bescheidgründen führte sie aus, gemäß dem Honorarverteilungsvertrag seien für die Praxis folgende arztgruppenspezifische Fallpunktzahlen festgelegt worden:
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RLV-Fallpunktzahl |
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Primärkassen |
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Ersatzkassen |
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Altersgruppeder Patienten in Jahren |
0 - 5 |
6 - 59 |
-≫ 60 |
0 - 5 |
6 - 59 |
-≫ 60 |
Fallpunktzahl lt. HVV |
667 |
926 |
1.187 |
604 |
831 |
1.033 |
Im Quartal II/05 seien 1.645 Fälle mit einem Fallpunktwert von 838,9 Punkten zugrunde gelegt worden. Das praxisbezogene Regelleistungsvolumen betrage damit 1.012.342,6 Punkte. Bei einer Honoraranforderung von 2.106.690,0 Punkten sei das Regelleistungsvolumen um 1.094.347,4 Punkte überschritten worden. Im Quartal III/05 betrage das Regelleistungsvolumen bei einer Fallzahl von 1.575 Fällen und einem Fallpunktwert von 974,8 Punkten 1.535.310,0 Punkte. Das Regelleistun...