Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarzt. Zulassungsentziehung wegen einer Straftat. pauschaler Hinweis der Zulassungsgremien auf Ermittlungsergebnisse anderer Stellen (hier: Anklageschrift einer Staatsanwaltschaft) genügt nicht den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen. Erfordernis der eigenständigen Feststellung der Zulassungsgremien, dass strafgerichtliches Verfahren mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung des Arztes wegen der erhobenen Vorwürfe führt
Leitsatz (amtlich)
1. Stützen die Zulassungsgremien eine Zulassungsentziehung auf die Anklageschrift einer Staatsanwaltschaft wegen der Ausstellung unrichtiger Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, so haben sie im Einzelnen zu benennen, um welche Vorwürfe es sich gehandelt hat, welche Zeugnisse wann weshalb unrichtig ausgestellt worden sein sollen. Der pauschale Hinweis auf die Ermittlungsergebnisse genügt rechtsstaatlichen Mindestanforderungen in keinem Fall.
2. Die Entziehung der Zulassung eines Arztes wegen des Verdachts einer Straftat, aus der auf eine gröbliche Pflichtverletzung geschlossen werden kann, erfordert mit Blick auf den damit verbundenen Eingriff in die durch Art 12 Abs 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufswahl die eigenständige Feststellung der Zulassungsgremien, dass das strafgerichtliche Verfahren mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit zu einer (rechtskräftigen) Verurteilung des Arztes wegen der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe in ihrem wesentlichen Kern führt (ohne dass es darauf ankommt, ob eine Verurteilung wegen aller Vorwürfe erfolgt) (vgl OVG Saarland vom 29.11.2005 - 1 R 12/05 = AS RP-SL 32, 425). Die lapidare Feststellung, die Substantiierung der Vorwürfe ergebe sich aus dem Umstand einer U-Haft als auch der Eröffnung der Hauptverhandlung, kann eine solche Prognose nicht ersetzen. Der Verweis auf Ermittlungsergebnisse anderer Stellen ersetzt nicht die Darlegung der eigenen Entscheidungsgrundlagen und die eigenständige Würdigung dieser Ermittlungsergebnisse.
Tenor
1. Der Beschluss vom 16.11.2005 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers und die Gerichtskosten zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen seine Zulassungsentziehung.
Der 1946 geborene und jetzt 59-jährige Kläger ist als Arzt seit 30.03.1993 zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A. zugelassen.
Am 10.05.2005 beantragte die Beigeladene zu 1) die Entziehung der Zulassung des Klägers. Sie führte aus, sie habe zunächst nach einem Schreiben der ... G. S. an den Zulassungsausschuss vom Mai 2004 keine Veranlassung gesehen, tätig zu werden. Der Kläger habe gegenüber den Herren K. und D. im Zeitraum Februar 2003 bis April 2004 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt. Es habe aber so ausgesehen, als hätten diese eine zu Unrecht ausgestellte Versichertenkarte vorgelegt, die vom Kläger ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen korrekt gewesen seien. Erst nach erneuter Prüfung auf Bitte der Staatsanwaltschaft vom März 2005 stelle sie den Antrag. Die Staatsanwaltschaft werfe dem Kläger vor, durch 1.125 rechtlich selbständige Handlungen, davon in 558 Fällen gemeinschaftlich handelnd, ein unrichtiges Gesundheitszeugnis mit Betrugsabsicht ausgestellt zu haben. Nach den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen habe der Kläger zu Gunsten von nicht existierenden Versicherten, die bei nicht existierenden Firmen angestellt gewesen seien, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt zu haben, im Wissen dass diese Personen nicht existent gewesen seien. Ein Herr G. habe diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, insgesamt 558 Bescheinigungen, bei der AOK Hessen, AOK Sachsen und AOK Baden-Württemberg eingereicht und hierfür insgesamt 265.521,57 Euro Lohnfortzahlung auf der Grundlage des sog. Umlageverfahrens erhalten. Der Kläger habe für diese fiktiven Arbeitnehmer nicht erbrachte ärztliche Leistungen abgerechnet und hierfür in den Quartalen I/02 bis I/04 insgesamt ca. 6.700,00 Euro vergütet bekommen.
Mit Beschluss vom 21.06.2005, ausgefertigt am 27.06.2005 entzog der Zulassungsausschuss die Zulassung. Der Kläger habe die gesetzliche Ordnung der vertragsärztlichen Versorgung schwer gestört. Die Vertrauensgrundlage für eine weitere Zusammenarbeit sei fortgefallen. Allein die Abrechnung nicht erbrachter Leistungen gegenüber der Beigeladenen zu 1) rechtfertige die Entziehung.
Hiergegen legte der Kläger am 19.07.2005 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, er habe keine Betrugsabsicht gehabt. Alle behandelten Patienten seien anwesend gewesen, er habe keine unrichtigen Gesundheitszeugnisse ausgestellt. Zu dem Bauunternehmer habe es weder direkten noch indirekten Kontakt gegeben. Er sehe sich nicht als verpflichtet an, die Legitimation der Patienten zu überprüfen. Es gebe einen Handel mit Versichertenkarten.
Mit Schriftsatz vom 11.11.2005 legte die Beigeladene zu 1) die Anklageschrift ohne weitere Unterlagen dem Beklagten vor. Eine Vervielfältigung sei nicht vorzunehmen. Ausschließlic...