Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistungen. Anspruchseinschränkung. Ablehnung des Asylantrags als unzulässig wegen Zuständigkeit eines anderen Staates für die Durchführung des Asylverfahrens. teleologische Reduktion. noch andauerndes ausländerrechtliches Fehlverhalten. Bedarfssätze bei Unterbringung in einer Sammelunterkunft. tatsächliches Füreinandereinstehen
Orientierungssatz
1. § 1a Abs 7 S 1 AsylbLG ist in verfassungskonformer Auslegung dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass als weiteres ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ein pflichtwidriges Verhalten des Betroffenen vorliegen muss (vgl SG Landshut vom 28.1.2020 - S 11 AY 3/20 ER und vom 23.1.2020 - S 11 AY 79/19 ER = ZFSH/SGB 2020, 186). Voraussetzung für die Leistungskürzung muss ein konkretes, selbst zu vertretendes ausländerrechtliches Fehlverhalten sein, das noch andauert.
2. § 2 Abs 1 S 4 Nr 1 AsylbLG ist dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass zusätzlich als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ein tatsächliches "Füreinandereinstehen" der Bewohner gegeben sein muss.
Tenor
I. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig nach § 1a Abs. 7 AsylbLG gekürzte Leistungen der Regelbedarfsstufe 1 vom 3. September 2021 bis 28. Februar 2022 zu gewähren, längstens jedoch bis zu einer bindenden Entscheidung in der Hauptsache. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Der Antragsgegner trägt ein Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen einen Bescheid, mit dem die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) nur gekürzt bewilligt worden waren.
Der 2003 geborene Antragsteller afghanischer Herkunft reiste im März 2021 nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Diesen lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Bescheid vom 7. Juni 2021 als unzulässig ab. Der Antragsteller habe bereits in Rumänien einen Asylantrag gestellt. Im Rahmen der Anhörung hatte der Antragsteller ausgeführt, dass seine Schwester von einem Dorfbewohner im Heimatland vergewaltigt worden sei und es seitdem mit der anderen Familie eine Feindschaft gebe. Sein Onkel sei dabei getötet worden. Sein Vater hätte deshalb entschieden, dass der Antragsteller in die Türkei zu Verwandten reisen solle. Die Verwandten dort hätten die Weiterreise nach Deutschland organisiert, weil sie ihn nicht länger hätten versorgen und verstecken können.
Die Abschiebung nach Rumänien wurde angeordnet. Am 28. Juni 2021 teilte das BAMF mit, dass ein Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtschutz vom Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 22. Juni 2021 unanfechtbar abgelehnt worden sei. Die Abschiebungsanordnung sei seit diesem Tag vollziehbar.
Der Antragsgegner gewährte dem Antragsteller ab 30. April 2021 Leistungen nach dem AsylbLG in Höhe von monatlich 96,24 Euro. Am 1. Juli 2021 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zu einer beabsichtigten Leistungskürzung an, da Rumänien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei.
Mit Bescheid vom 21. Juli 2021 schränkte der Antragsgegner die Leistungen nach dem AsylbLG ab 1. August 2021 ein und gewährte in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 für die Dauer von sechs Monaten nur noch unabweisbare Leistungen für Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege, Unterkunft und Heizung als Sachleistungen.
Hiergegen legte der Antragsteller am 23. August 2021 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden worden ist.
Am 3. September 2021 hat der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht München beantragt. Die Vorschrift des § 1a AsylbLG sei verfassungswidrig, weil sie das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletze. Möglich sei zwar, die Inanspruchnahme von Sozialleistungen an Mitwirkungspflichten zu binden, welche geeignet sind, die Bedürftigkeit zu vermeiden oder zu überwinden. Migrationspolitische Erwägungen könnten aber die Absenkung der Leistungen unterhalb des Existenzminimums nicht rechtfertigen. Die Regelung müsse in Anlehnung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Sanktionen im Bereich des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) teleologisch dahingehend reduziert werden, dass eine Kürzung nur dann zulässig ist, wenn dem Betroffenen ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sei. Nur dann habe es der Leistungsempfänger selbst in der Hand, die Sanktionierung durch pflichtgemäßes Verhalten zu beenden. Daran fehle es hier. Eine Pflichtverletzung durch den Antragsteller liege nicht vor, insbesondere nicht durch die Einreise nach Deutschland. Im Bereich des § 1a Abs. 7 AsylbLG habe der Betroffene keinerlei Reaktionsmöglichkeit, die Vorschrift sei bereits deshalb nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Im Übrigen sei auch die starre Sanktionsdauer von sechs Monaten unverhältnismäßig.
Zudem sei auch die Regelung des § 3a Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG verfassungswidrig. Hier müsse als ungeschriebenes Tat...