Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungsrecht: Statusfeststellung. Abgrenzung einer abhängigen von einer selbständigen Beschäftigung

 

Orientierungssatz

1. Sind für einen Beschäftigten, der Führungen in einer kulturellen Einrichtung durchführt, Inhalt und Ablauf der Führungen im Wesentlichen von der Einrichtung vorgegeben, so ist dies als Weisungsgebundenheit, die für eine abhängige und damit sozialversicherungspflichtige Beschäftigung spricht, zu werten.

2. Auch wenn in einem Dienstvertrag weder Entgeltfortzahlungs- noch Urlaubsansprüche vereinbart und zudem dem Dienstleistenden die Verpflichtung zur Tragung der Steuer- und Sozialabgabenlast auferlegt wurde, spricht dies nur dann für eine selbständige anstatt für eine abhängige Beschäftigung, wenn der Betroffene diese Nachteile und Risiken im Rahmen des Vertragsverhältnisses tatsächlich durch größere unternehmerische Vorteile und Freiheiten ausgleichen kann.

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beigeladene in seiner Tätigkeit als Rundgangsleiter in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stand oder selbständig tätig war.

Die Klägerin - eine öffentliche Stiftung des Bürgerlichen Rechts - ist eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung, die die gesamte deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart in ihren europäischen Bezügen erforscht. Ihr obliegt auch die Leitung des Lern- und Erinnerungsortes O. - Dokumentation O ... Hier organisierte sie etwa bis Ende 2013 Rundgänge für Besuchergruppen. Der Beigeladene war in der Zeit von Frühjahr 2011 bis Frühjahr 2013 als Rundgangsleiter am O. für die Klägerin tätig. Während dieser Zeit befand er sich im Bachelor-Studium Soziologie.

Am 17.4.2012 beantragten Klägerin und Beigeladener bei der Beklagten, den sozialversicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen festzustellen - Statusanfrage nach § 7 a Sozialgesetzbuch IV (SGB IV). Der Tätigkeit des Beigeladenen lag der freie Mitarbeitervertrag - Rahmenvereinbarung vom 1.3.2012 zugrunde. Nach § 1 dieses Vertrags wird der freie Mitarbeiter - der Beigeladene - als Rundgangsleiter für die Klägerin tätig. Seine Dienstleistung umfasst vereinbarte Führungen und Workshops für Besucher in der Dokumentation O ... Der freie Mitarbeiter erbringt seine Leistungen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung als selbständiger Unternehmer (§ 1 Abs. 1 des Vertrags). Bei der Durchführung der Tätigkeit ist der Beigeladene Weisungen des Instituts für Zeitgeschichte nicht unterworfen. Weisungen im vorstehenden Sinne sind nicht fachliche Vorgaben, die dem freien Mitarbeiter für die Durchführung der Tätigkeit in allgemeiner Form gegeben werden (§ 1 Abs. 2 des Vertrags). Konkrete Termine und Zeiten stimmen die Vertragsparteien nach Bedarf ab, dann wird jeweils ein Einzelauftrag erteilt. Der freie Mitarbeiter erklärt unverzüglich, ob er den Auftrag annimmt (§ 1 Abs. 3 des Vertrags). Nach § 2 Abs. 1 ist der Vertrag unter der Voraussetzung vereinbart worden, dass es sich bei dem Vertragsverhältnis rechtlich und tatsächlich um ein freies Mitarbeiterverhältnis handelt, auf das Arbeits-,Lohnsteuer- und Sozialversicherungsrecht keine Anwendung findet. Dies wurde bei der Kalkulation der Vergütung berücksichtigt. Nach § 2 Abs. 2 des Vertrags werden für die einzelnen Tätigkeiten unterschiedliche Honorare festgesetzt. Für eine Standard-, Überblicks- und Themenführung wurden 55 Euro festgelegt, für eine solche Führung an Feiertagen 60 Euro. Auch für fremdsprachige Führungen betrug das Honorar 60 Euro, für Workshops 80 bis 90 Euro. Nach § 2 Abs. 3 hat der freie Mitarbeiter willentlich und wissentlich den Status eines selbständigen Unternehmens. Er ist nicht lohnsteuer- und sozialversicherungspflichtig, der Auftraggeber ist deshalb nicht verpflichtet, Lohnsteuer- und Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Nach dieser Regelung ist die Abführung von Steuern und Abgaben ausschließlich Sache des freien Mitarbeiters. Nach § 3 steht dem freien Mitarbeiter ein Honoraranspruch nicht zu, wenn er infolge von Krankheit oder sonstiger Arbeitsverhinderung an der Leistung der Dienste verhindert ist. Der freie Mitarbeiter hat auch keinen Anspruch auf Urlaub. Nach § 6 ist der Auftragnehmer verpflichtet, sich im Rahmen der Durchführung des Vertrags auf dem Gebiet seiner Tätigkeit über den aktuellen Entwicklungsstand weiterzubilden und sich über Veränderungen jederzeit auf dem Laufenden zu halten.

In den Erläuterungen zum Statusfeststellungsantrag hielt sich der Beigeladene als Rundgangsleiter an inhaltliche Rahmenvorgaben der Klägerin gebunden. Die Ausführung dieser Vorgaben werde etwa zweimal im Jahr von der Klägerin durch eine Evaluation geprüft. Der Beigeladene erklärte ferner, dass es seine Entscheidung sei, ob er eine Führung übernehme. Sobald er zugesagt habe, sei er aber verpflichtet, den Rundgang zum anberaumten Zeitpunkt durchzuführen und sich dabei an zeitliche Vorgaben zu halten. Auf die Preisge...

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