Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen eines Anspruchs auf Taubblindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz
Orientierungssatz
1. Anspruch auf Taubblindengeld nach Art. 1 des Bayerischen Blindengeldgesetzes hat ein blinder Mensch mit vollständigem Hörverlust oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit. Eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit liegt bei einem Hörverlust von mindestens 80 % vor.
2. Voraussetzung ist u. a., dass das maßgebliche Sprachaudiogramm de lege artis erstellt worden ist.
3. Ein einfaches Gesamtverstehen für Einsilber rechts von 85 und links von 135 ergibt einen prozentualen Hörverlust von 80 % und damit eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beidseits.
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 06.04.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2018 verurteilt, dem Kläger ab 18.10.2018 Taubblindengeld zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte erstattet dem Kläger 3/4 der notwendigen außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung von Taubblindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG).
Der 1979 geborene Kläger stellte am 26.02.2018 einen Antrag auf Gewährung von Taubblindengeld.
Mit Bescheid vom 16.02.2018 war dem Kläger auf seinen Antrag ab 01.01.2018 Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz gewährt worden.
Der Beklagte holte einen Befundbericht des HNO-Arztes Dr. C. ein, der mitteilte, beim Kläger läge ein Usher-Syndrom vor. Seit Geburt bestünde eine Schwerhörigkeit beidseits. Der Kläger sei beidseits mit Hörgeräten versorgt bei hochgradiger sensorineuraler Hypakusis. Nach einer Stellungnahme des ärztlichen Dienstes lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 06.04.2018 den Antrag auf Gewährung von Taubblindengeld ab und führte aus, nach den Unterlagen läge kein Hörverlust von mindestens 80 v.H. vor. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und führte aus, sein Gehör habe sich deutlich verschlechtert. Er legte dazu einen Befund des HNO-Arztes Dr. D. vom 23.04.2018 vor. Nach einer versorgungsärztlichen Stellungnahme wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2018 zurück und führte aus, entsprechend der maßgeblichen Sprachaudiogramme ergebe sich für das rechte Ohr ein Hörverlust von 70%, für das linke Ohr ein Hörverlust von 60%, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung von Taubblindengeld weiterhin nicht erfüllt seien.
Der Kläger ließ hiergegen am 09.07.2018 Klage zum Sozialgericht München erheben. Das Gericht hat von Amts wegen Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des Augenarztes Dr. F. sowie des HNO-Arztes Dr. D..
Das Gericht zog die Schwerbehindertenakte bei, aus der hervorgeht, dass mit Bescheid vom 02.03.2018 ein GdB von 100 sowie die Merkzeichen G, B, Bl, H und RF festgestellt worden waren, bei Einzel-GdB von 100 wegen Blindheit und Einzel-GdB von 30 für Schwerhörigkeit. In der versorgungsärztlichen Stellungnahme war angemerkt worden, dass die Hörminderung möglicherweise stärker ausgeprägt sei. Dem Kläger gegenüber war deshalb angeregt worden, einen Antrag auf Gewährung von Taubblindengeld zu stellen (vgl. Bescheid vom 16.2.2018).
Das Gericht ließ den Kläger durch Dr. E. am 18.10.2018 HNO-ärztlich untersuchen. Der Sachverständige führt in seinem Gutachten vom 18.01.2019 aus, der Kläger leide an einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit beidseits. Das Tonaudiogramm vom 23.04.2018 von Dr. D. korreliere deutlich mit dem gutachterlich erhobenen Tonaudiogramm. Beim Kläger läge ein Hörverlust für 50% der Zahlwörter von 55 dB beidseits vor. Das einfache Gesamtwortverstehen für Einsilber betrage rechts 85 und links 135. Hieraus ergebe sich nach der Tabelle zur Ermittlung des prozentualen Hörverlustes nach Boenninghaus und Röser von 1973 ein prozentualer Hörverlust von 80% für das rechte und linke Ohr.
Der Beklagte führt in seiner Stellungnahme vom 20.03.2019 aus, maßgeblich für die Beurteilung des Hörvermögens sei das Sprachaudiogramm, das am 23.04.2018 noch einen Hörverlust von beidseits 70% zeigte. Zwar korreliere das Tonaudiogramm vom 23.04.2018 sehr deutlich mit dem gutachterlich erhobenen Tonaudiogramm. Es bestünde jedoch eine erhebliche Differenz zum maßgeblichen Sprachaudiogramm. Eine hochgradige Schwerhörigkeit könne daher nicht festgestellt werden. Der Sachverständige Dr. E. führt in seiner ergänzenden Stellungnahme hierzu am 04.07.2019 aus, das Sprachaudiogramm vom 23.04.2018 sei nicht vollständig durchgeführt worden. Es würden die Werte bei 60 und 100 dB fehlen. Es läge daher nur ein korrekt durchgeführtes Sprachaudiogramm, nämlich das vom 18.10.2018, vor. Im Übrigen sei eine Verschlechterung des Hörvermögens innerhalb eines halben Jahres durchaus möglich. In einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme teilt der Beklagte mit, auch wenn das Sprachaudiogramm nicht de lege artis durchgeführt worden sei, so erlaube es dennoch eine korrekte Beurteilung des Hörvermögens. Es sei zweifelsfrei ein Hörverlust von nicht mehr als 70...