Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung. Generikaabschlagspflicht. einer Preiserhöhung zeitlich vorausgehender Inflationsausgleich
Orientierungssatz
Bei einem zugunsten des Arzneimittels erfolgten Inflationsausgleich handelt es sich nicht um eine Preiserhöhung i S des § 130a Abs 3b S 6 SGB 6, sodass der einer Preiserhöhung zeitlich vorausgehender Inflationsausgleich der Ablösung des Generikaabschlags nicht entgegensteht.
Tenor
I. Es wird festgestellt, dass das von der Klägerin hergestellte und in Verkehr gebrachte Arzneimittel Valdoxan (Wirkstoff: Agomelatin) seit dem 01.03.2019 keiner Abschlagspflicht nach § 130a Abs. 3b SGB V unterliegt und dass die Klägerin seit diesem Zeitpunkt nicht verpflichtet ist, den Abschlag nach § 130a Abs. 3b SGB V zu zahlen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500.000,- € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Auslegung und Reichweite der Generikaabschlagspflicht nach § 130a Abs. 3b SGB V. Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr Medikament Valdoxan (Wirkstoff: Agomelatin) nicht der Verpflichtung zur Zahlung des Generikaabschlags nach § 130a Abs. 3b Satz 2 SGB V unterliege.
Das Arzneimittel ist seit dem 01.04.2009 auf dem deutschen Markt. Am 26.02.2019 ist der Patentschutz des Wirkstoffes abgelaufen.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass die zum 01.03.2019 erfolgte Absenkung des Herstellerabgabepreises von Valdoxan um 10% zu einer Ablösung des Generikaabschlags geführt habe.
Der Beklagte verweigert eine solche Ablösung dagegen unter Verweis auf den zum 01.07.2018 erfolgten Inflationsausgleich und den dadurch ausgelösten Ausschlusstatbestand in § 130a Abs. 3b Satz 6 SGB V.
Die Klägerin trägt vor, dass die Auslegung der Vorschrift durch den Beklagten zu einer wirtschaftlichen Benachteiligung der Klägerin ohne sachlichen Grund führe. Im Zeitpunkt des erstmaligen Inflationsausgleichs am 01.07.2018 um ca. 1,8% sei Agomelatin ein patentgeschützter Wirkstoff und Valdoxan noch gar nicht Gegenstand der Generikaabschlagspflicht gewesen. Sie habe die Preissenkung unmittelbar nach Ablauf des Patentschutzes von Agomelatin und damit (was das Abschlagsregime nach § 130a Abs. 3b SGB V betreffe) zum frühestmöglichen Ablösezeitpunkt vorgenommen. Die Versagung der Ablösung des Generikaabschlags entbehre jeder sachlichen Grundlage, sondern vermenge zwei unterschiedliche Regimes: Das erstattungsrechtliche Inflationsausgleichsregime einerseits, dessen Zweck die regelmäßige Kompensation solcher Schäden sei, die pharmazeutische Unternehmer (pU) durch den inflationsbedingten Wertverlust ihres Arzneimittels erleiden, und das generikaspezifische Abschlagsregime andererseits, das pharmazeutische Unternehmer zu Preissenkungen veranlassen und zugleich missbräuchliche Preisschaukeln vermeiden solle. Die Inanspruchnahme des gesetzlich vorgesehenen Inflationsausgleichs sei weder missbräuchlich noch mit einer Preisschaukel vergleichbar.
Eine Preissenkung vor dem Inflationsausgleich hätte jedenfalls zu einer Ablösung des Generikaabschlags geführt. Ob der Inflationsausgleich zeitlich vor- oder nachgelagert sei, könne für den Abschlag nicht relevant sein. Die Klägerin habe keine Möglichkeit gehabt, den Abschlag bereits vor dem Inflationsausgleich auszulösen. Mitbewerbern, denen das möglich war, seien damit privilegiert. Die Klägerin sei dadurch in ihren Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG verletzt.
Da die für die Berechnung des Generikaabschlags zuständige Meldestelle ABDATA Pharma-Daten-Service eine Ablösung des Abschlags abgelehnt habe, weil sie unsicher gewesen sei, ob der zugunsten von Valdoxan erfolgte Inflationsausgleich als Preiserhöhung gelte und damit den Ausschlusstatbestand (§ 130a Abs. 3b Satz 5 SGB V aF, Satz 6 nF) ausgelöst habe, wandte sich die Klägerin am 10.05.2019 an das (BMG). Zu der Zeit sei im Entwurf für das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) bereits die Neuregelung in § 130a Abs. 3b Satz 4 SGB V behandelt worden, wonach es sich beim Inflationsausgleich nicht um eine Preiserhöhung im Sinne des Abschlagregimes handle. Die Klägerin habe sicherstellen wollen, dass die Neuregelung auch den Fall eines Inflationsausgleichs erfasse, der zeitlich vor der Preissenkung stattfinde. Das BMG teilte am 21.05.2019 mit, es sei Ziel der Änderung in § 130a Abs. 3b SGB V, "dass alle pharmazeutischen Unternehmer den im AMVSG eingeführten Inflationsausgleich für Arzneimittel unter Preismoratorium erheben können" (Anlage K2).
Dem von der Klägerin vorgelegten vorprozessual geführten Schriftverkehr zwischen dem Beklagten und dem BMG ist zu entnehmen, dass der Beklagte am 07.11.2019 gegenüber dem BMG darauf hinwies, dass "die Argumentation des pharmazeutischen Unternehmens nicht abwegig" sei und "[r]echtliche Konsequenzen aus der Umsetzung der Regelung [...] absehbar" seien. Die Begründung zur gesetzlichen Änderung (BT-Drs. 19/10681) liefere keine Hinweise, weshalb der Gesetzgeber betroffene ...