Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimittel. Ermittlung des Herstellerabschlags. mehrere Vergleichsarzneimittel. Bildung eines arithmetischen Mittelwerts zur Bestimmung des Vergleichspreises
Leitsatz (amtlich)
1. Die Vorschrift des § 130a Abs 3a S 3 SGB V aF (heute S 4) findet auch dann Anwendung, wenn zum Stichtag mehr als ein Vergleichsprodukt in den Markt eingeführt war.
2. Hat der pharmazeutische Unternehmer vor Neueinführung eines Arzneimittels mehrere Arzneimittel mit gleichem Wirkstoff und vergleichbarer Darreichungsform in den Verkehr gebracht, wird der Vergleichspreis zur Ermittlung des Herstellerrabatts aus dem arithmetischen Mittelwert der Vergleichsarzneimittel bestimmt.
3. Bei der Bildung eines Durchschnitts zur Bestimmung des Vergleichspreises sind auch "außer Vertrieb" gesetzte, aber noch verkehrsfähige Arzneimittel einzubeziehen; es kommt nicht darauf an, ob und in welchem Umfang diese zum Stichtag tatsächlich noch vertrieben wurden.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. April 2018 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 2,5 Millionen Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Preisabschlag gemäß § 130a Abs. 3a SGB V für das Arzneimittel A-Pen.
Die Klägerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen mit Sitz in München, das in Deutschland u.a. Arzneimittel zur Behandlung der Multiplen Sklerose vertreibt.
Nach Änderung des § 130a Abs. 3a SGB V hatte der beklagte GKV-Spitzenverband am 22. Oktober 2010 das Nähere zum sog. Herstellerabschlag festgelegt. In den „Regelungen des GKV-Spitzenverbandes nach § 130a Abs. 3a Satz 10 zum Herstellerabschlag nach § 130a Abs. 3a Satz 3 und 4 SGB V im Konsens mit den Verbänden der pharmazeutischen Unternehmer“ (im Folgenden Leitfaden) hatte er für die Bestimmung des Abschlags Kriterien zur Ermittlung der Vergleichspackung (Abschnitt I) und zur Berechnung des Abschlages (Abschnitt II) bestimmt.
Die Klägerin führte erstmals zum 1. Juli 2011 das zentral zugelassene Arzneimittel „A® 30 µg/0,5ml Injektionslösung, im Fertigpen“ (im Folgenden A-Pen) in Deutschland in den Markt ein, indem sie dieses unter eigenem Namen in Verkehr brachte. Eine Fertigspritze enthält 30 µg (6 Millionen Einheiten) des Wirkstoffs I. Der A-Pen wird in zwei Packungsgrößen mit 4 oder 12 Fertigspritzen vertrieben, für das Arzneimittel ist kein Festbetrag festgesetzt. Zulassungsinhaber ist eine im Vereinigten Königreich ansässige Schwestergesellschaft der Klägerin.
Die Klägerin meldete den A-Pen der Informationsstelle für Arzneimittelspezialitäten GmbH (IFA-GmbH) zur Veröffentlichung im Preis- und Produktverzeichnis (im Folgenden Lauer-Taxe) mit einem Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers (ApU) von 1.340 Euro für die Packungsgröße mit 4 Spritzen (Pharmazentralnummer [PZN] …) und von 4.020 Euro für die Packungsgröße mit 12 Spritzen (PZN …). Die Klägerin koppelte dabei die von ihr für dieses Arzneimittel benannten Abgabepreise an den Preis des von ihr in den Verkehr gebrachten und seit Jahren am Markt verfügbaren Arzneimittels „A® 30 µg Pulver und Lösungsmittel zur Herstellung einer Injektionslösung“ (PZN …) (im Folgenden A-Set). Dieses Präparat mit ebenfalls 30 µg (6 Millionen Einheiten) enthält denselben Wirkstoff, hat dieselbe Darreichungsform und dieselbe Wirkstärke wie der A-Pen. Es war in der Lauer-Taxe am 1. August 2009 mit einem ApU von 1.340 Euro für eine Menge von vier Durchstechflaschen gelistet. Bei Festlegung des Preises für den A-Pen mit 12 Spritzen kalkulierte die Klägerin das Dreifache des A-Set mit 4 Durchstechflaschen auf insgesamt 4.020 Euro. Änderungen des ApU erfolgten zum 1. September 2012, 1. Juli 2019, 1. Juli 2020 und 1. Juli 2021.
Am 1. August 2009 hatte die Klägerin ferner bereits das Präparat A-LL Fertigspritzen (im Folgenden A-LL) ebenfalls mit dem Wirkstoff I, 30 µg in den Verkehr gebracht. Die Abpackung mit 4 Fertigspritzen und einer Gesamtwirkstärke von 0,12 mg (PZN …) war am 1. August 2009 mit einem ApU von 1.282 Euro gelistet. Die Abpackung mit 12 Fertigspritzen und einer Gesamtwirkstärke von 0,36 mg (PZN …) war am 1. August 2009 mit einem ApU von 3.928,00 Euro gelistet.
Ein weiteres Präparat mit der Bezeichnung „A30 µg 6 Mio. I.E. 0,5 ml Injektionslösung“ (im Folgenden A-AV) in der Darreichungsform von Fertigspritzen mit 4 Stück (PZN …) - ebenfalls mit dem Wirkstoff I, 30µg und einer Gesamtwirkstärke von 0,12 mg - war von der Klägerin Jahre zuvor in den Verkehr gebracht worden. Es wurde bei Markteinführung des A-Pen von der Klägerin nicht mehr vertrieben. Bereits mit Wirkung zum 1. November 2007 hatte die Klägerin A-AV mit dem Vertriebsstatus „außer Vertrieb“ bei der IFA-GmbH gemeldet. Es war am 1. August 2009 noch mit einem ApU von 1.054,51 Euro in der Lauer-Taxe gelistet und wurde zum 1. November 2009 aus der Lauer-Taxe gelöscht.
Bei den vorstehend genannten vier AProdukten handelt es sich ...