Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. dauerhafte volle Erwerbsminderung. Antragserfordernis. Rückwirkung des Antrags auf den Ersten des Antragsmonats. Vollendung des 18. Lebensjahres im Laufe des Antragsmonats
Leitsatz (amtlich)
Die Rückwirkung auf den Ersten des Kalendermonats nach§ 44 Abs 2 S 1 SGB XII bezieht sich nur auf den Antrag auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Wenn ein Antragsteller erst im Laufe des Antragsmonats volljährig wird, kann er erst ab diesem Tag Leistungen erhalten.
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 22. Februar 2023 und 1. Juni 2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. September 2023 verurteilt, dem Kläger auch für die Zeit vom 11.09.2022 bis 31.12.2022 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt auch für die Zeit von 01.01.09.2022 bis 31.12.2022 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
Der am 2004 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Er leidet seit Geburt unter einer schweren geistigen Behinderung. Ihm sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen G und H zuerkannt. Im Rahmen der Pflegeversicherung wurde der Pflegegrad 5 festgestellt. Er wohnt bei seinen Eltern und wird von seiner Mutter rechtlich betreut für zahlreiche Aufgabenkreise. Der Kläger verfügt weder über Einkommen noch über Vermögen.
Die Betreuerin stellte für den Kläger einen Antrag auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, der dem Beklagten am 16.09.2023 zuging. Es wurde unter anderem ein ärztliches Gutachten vom 20.07.2022 vorgelegt, das anlässlich des Betreuungsverfahrens im Auftrag des Amtsgerichts M-Stadt erstellt worden war. Mit Schreiben vom 09.01.2023 forderte der Beklagte bei der Deutschen Rentenversicherung eine Prüfung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung gemäߧ 45 SGB XII an. Mit Schreiben vom 16.02.2023 teilte die Rentenversicherung dem Beklagten mit, dass die volle Erwerbsminderung zumindest seit dem 09.01.2023 bestehe.
Mit Bescheid vom 22.02.2023 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.01.2023 bis 31.12.2023 in Höhe von monatlich 742,89 Euro. Dagegen erhob die Betreuerin des Klägers Widerspruch, die Leistungen seien bereits ab 01.09.2022 zu gewähren. Mit weiterem Bescheid vom 01.06.2023 lehnte der Beklagte die Gewährung von Leistungen für den Zeitraum vom 01.09.2022 bis 31.12.2022 ausdrücklich ab. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.09.2023 als unbegründet zurückgewiesen.
Der Kläger hat am 19.10.2023 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Der Kläger sei seit Geburt gesundheitlich sehr eingeschränkt und erwerbsunfähig. Die Rentenversicherung habe das Datum 09.01.2023 nur benannt, weil das das Datum der entsprechenden Anfrage bei der Rentenversicherung gewesen sei. Der Beklagte hätte eine ergänzende konkretisierte Stellungnahme bei der Rentenversicherung einholen müssen.
Der Kläger beantragt,
dem Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 22.02.2023 unter Aufhebung des Bescheids vom 01.06.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.09.2023 zu verurteilen, dem Kläger auch für die Zeit von 01.09.2022 bis 31.12.2022 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in gesetzlichem Umfang zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist darauf, dass er hinsichtlich der Festlegung des Bestehens der dauerhaften vollen Erwerbsminderung an die Entscheidung der Rentenversicherung gebunden sei.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist zulässig und überwiegend begründet. Der Kläger hat ab dem Tag der Vollendung seiner Volljährigkeit am 11.09.2022 Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Die Rückwirkung des Leistungsantrags gemäߧ 44 Abs. 2 SGB XII führt aber nicht zu Leistungen für die Zeit vor der Volljährigkeit.
Der Beklagte ist für die strittige Leistung sachlich und örtlich zuständig (§ 97 Abs. 1 ,§ 98 Abs. 1 SGB XII i.V.m. Art. 81 Abs. 1 BayAGSG). Der Kläger erfüllt ab dem Tag seiner Volljährigkeit alle Voraussetzungen für die Leistungsberechtigung nach§ 19 Abs. 2 ,§ 41 SGB XII . Er hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, kann seinen notwendigen Lebensunterhalt mangels Einkommen und Vermögen nicht selbst sichern und ist gemäߧ 41 Abs. 3 SGB II dauerhaft und unabänderlich voll erwerbsgemindert im Sinne des§ 43 Abs. 2 SGB VI .
Das Gericht ist nicht an die Feststellungen der Rentenversicherung gebunden und hat das Vorliegen dieser Erwerbsunfähigkeit selbst festzustellen (BSG, Urteil vom 08.12.2022, B 8 SO 4/21 R , dort Rn. 13 ). Diese ergibt...