Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Sonderregelung aus Anlass der COVID-19-Pandemie. Angemessenheitsfiktion. Grenzen der Anwendung. Umzug aus einer angemessenen in eine unangemessene Unterkunft ohne Zusicherung während des Leistungsbezuges
Leitsatz (amtlich)
1. § 67 Abs 3 S 1 SGB II, wonach zu Zeiten der Covid-19-Pandemie die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung als angemessen gelten, ist auf einen Umzug im laufenden Leistungsbezug von vornherein nicht anwendbar.
2. § 67 Abs 3 S 3 SGB II verhindert die Anwendung von § 67 Abs 3 S 1 SGB II erst recht auch dann, wenn in einem vorangegangenen Bewilligungszeitraum die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung als Bedarf anerkannt wurden, weil diese angemessen waren.
Tenor
I. Die Klage gegen die Änderungsbescheide vom 25. Oktober 2021 und 24. Januar 2022 in Gestalt der beiden Widerspruchsbescheide vom 25. Januar 2022 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten
Tatbestand
Die Klägerin begehrt für die Zeit von September 2021 bis einschließlich Mai 2022 höhere Leistungen für die Miete ihrer neuen Wohnung.
Die 1985 geborene alleinstehende Klägerin hat die russische Staatsangehörigkeit. Die Klägerin ist privat kranken-und pflegeversichert und sie bezog laufend Arbeitslosengeld II vom Beklagten. Die Klägerin erhielt außerdem monatlich 545,- Euro Pflegegeld von ihrer Pflegeversicherung für einen Pflegegrad 3. Die Klägerin wohnte in einer Mietwohnung in M-Stadt, für die sie eine Grundmiete von 540,- Euro und 150,- Euro Betriebskosten zu zahlen hatte. Diese Miete wurde bei den Leistungsbewilligungen bis 31.05.2021 als Bedarf anerkannt. Die Klägerin musste die Wohnung aufgrund eines Räumungsurteils des Amtsgerichts zum 31.05.2021 räumen. Anschließend wohnte die Klägerin in verschiedenen Pensionen. Mit Bescheid vom 07.06.2021 wurden der Klägerin für den Bewilligungszeitraum von Juni 2021 bis einschließlich November 2021 Leistungen bewilligt. Zuletzt wurden mit Änderungsbescheid vom 16.07.2021 täglich 24,08 Euro (monatlich 722,40 Euro) als angemessene Unterkunftskosten in Pensionen übernommen.
Mit Schreiben vom 28.08.2021 teilt die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie eine neue Wohnung gefunden habe. Sie benötige eine Genehmigung für die Wohnung und ein Darlehen für die Kaution. Es handelte sich um eine voll möblierte Zweizimmerwohnung mit 49,9 qm Wohnfläche in der Ottobrunner Straße in A-Stadt mit einer Grundmiete von 1100,- Euro und Betriebskosten (Neben- und Heizkosten) von 180,- Euro. Mietbeginn war der 15.09.2021. Laut Mietvertrag war eine Mietkaution in Höhe von 3.300,- Euro zu zahlen. Mit Bescheid vom 09.09.2021 und Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2021 lehnte der Beklagte eine Zustimmung zur Anmietung der Wohnung ab, die Wohnung sei zu teuer.
Im September entstanden laut Rechnung Übernachtungskosten in einer Pension in Höhe von kalendertäglich 33,81 Euro, für 15 Übernachtungen bis zum 15.09.2021 insgesamt 507,15 Euro. Die Klägerin zog zum 15.09.2021 in die neue Wohnung.
Nach mehreren Änderungsbescheiden bewilligte der Beklagte zuletzt mit Bescheid vom 25.10.2021 für September 2021 Leistungen in Höhe von 2198,46 Euro (Anteil von Unterkunft und Heizung 1447,63 Euro) und für Oktober und November jeweils 1499,93 Euro (Anteil von Unterkunft und Heizung jeweils 749,10 Euro). Dies waren die höchsten bewilligten Beträge im Vergleich zu den vorhergehenden Bescheiden.
Nach dem Weiterbewilligungsantrag bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 25.10.2021 Arbeitslosengeld II für die Zeit von Dezember 2021 bis einschließlich Mai 2022 in Höhe von monatlich 1499,93 Euro (Anteil von Unterkunft und Heizung 749,10 Euro, Direktüberweisung an den Vermieter). Die Klägerin erhob Widerspruch gegen beide Bescheide vom 25.10.2021. Sie habe den Pflegegrad 3 und benötige ein weiteres Zimmer für eine Pflegekraft. Die vom Beklagten deshalb zu zahlende Miete betrage 885,30 Euro. Der Beklagte forderte daraufhin bei der Klägerin eine Kopie des Pflegebescheids oder des Pflegegutachtens an, um die Notwendigkeit der Unterbringung einer Pflegekraft zu ermitteln. Die Klägerin übermittelte daraufhin nur eine Seite des Pflegegutachtens mit der Bewertung der Alltagskompetenz. Dort sind als Einschränkungen angegeben, dass die Klägerin gelegentlich Herdplatten anlasse, Hunger und Durst nicht ausreichend wahrnehme und wenn sie nachts nicht schlafen könne, draußen herumlaufe.
Mit Änderungsbescheid vom 27.11.2021 wurde die Erhöhung der Regelbedarfe für Januar bis Mai 2022 umgesetzt, monatliches Arbeitslosengeld II nun 1502,93 Euro. Mit Änderungsbescheid vom 07.12.2021 wurde die Bewilligung für Januar bis Mai 2022 auf monatlich 1515,- Euro angehoben wegen einer Erhöhung des Zuschusses für die Krankenversicherung. Im Dezember 2021 reichte die Klägerin eine Bestätigung des Vermieters ohne Datumsangabe ein, dass die Kaution noch nicht bezahlt sei.
Mit Änderungsbescheid vom 24.01.2022 wurde die Bewilligung für Oktober und November ...