Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Vergütung. keine Selbstbindung der Verwaltung durch Nichteinlegung der Berufung. Abrechnung krankheitsfallbezogener Leistungspositionen (hier: pränatale zytogenetische Untersuchung und Leistungen der In-vitro-Diagnostik). Definition des "Krankheitsfalls"
Leitsatz (amtlich)
1. Wird ein Urteil von einer Behörde nicht mit der Berufung angegriffen und damit rechtskräftig, entsteht dadurch noch keine Selbstbindung der Verwaltung. Grundsätzlich setzt eine Selbstbindung der Verwaltung ein aktives Tun voraus.
2. Die Formulierung in § 21 Abs 1 S 9 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) stellt keine Definition des Krankheitsfalls dar. Vielmehr handelt es sich um eine zeitliche Eingrenzung des Krankheitsfalls (vgl LSG Essen vom 29.2.2012 - L 11 KA 71/08; aA LSG München vom 16.9.2020 - L 12 KA 24/19).
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides und der diesem als Anlage beigefügten Richtigstellungsmitteilung, eingegangen am 16.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2021, zur Post gegeben am 12.05.2021 und eingegangen am 17.05.2021 bezüglich des Quartals mit dem Doku-Zeichen: X1. verurteilt, das klägerische Honorar ohne Absetzung der Gebührenpositionen 01793/L5/B1(1x), 11501/L5/B1(1x), 11502/L5/B1(1x), 11503/L5/B1(2x). 11513/L3/B1(20x), 11513y/L3/B1(58x), 11514/L3/B1(1x), 11302/L3/B1(1x) in Höhe von 7.001,48 Euro zu vergüten.
Ferner wird die Beklagte unter Abänderung des Bescheides und der diesem als Anlage beigefügten Richtigstellungsmitteilung eingegangen am 16.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2021, dieser zur Post gegeben am 12.05.2021 und eingegangen am 17.05.2021 bezüglich des Quartals 1/2019 mit dem Doku-Zeichen: Y1. verurteilt, das klägerische Honorar ohne Absetzung der Gebührenpositionen 01793/L4/B1(1x), 11501/L4/B1(1x), 11502/L4/B1(1x) 11514/L2/B1(1x) EBM in Höhe von insgesamt 4.047,87 Euro zu vergüten.
Des Weiteren wird die Beklagte unter der Abänderung des Bescheides und der diesem als Anlage beigefügten Richtigstellungsmitteilung eingegangen am 19.05.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2021, zur Post gegeben am 12.05.2021 und eingegangen am 17.05.2021 bezüglich des Quartals 4/2019 mit dem Doku-Zeichen: Z1. verurteilt, das klägerische Honorar ohne Absetzung der Gebührenposition 01793/L4/B1(1x) in Höhe von 569,92 Euro zu vergüten.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des/der Verfahren
Tatbestand
Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klagen sind die Bescheide der Beklagten in der Fassung der Widerspruchsbescheide, betreffend die sachlich-rechnerischen Richtigstellungen in den Quartalen 4/18, 1/19 und 4/19, die zu Rückforderungen in Höhe von 7.001,48 €, 4.047,87 € und 569,92 € führten. Sachlich-rechnerisch richtiggestellt wurden im Quartal 4/18 die Leistungen nach den Gebührenordnungspositionen (GOP) 11501, 11502, 11503 und 11504 neben der GOP 01793 im Krankheitsfall, die GOP 11302 wegen fehlender Hauptleistung, die GOP 11513 und 11513Y neben der GOP 11514 im Krankheitsfall und die GOP 01793 neben der GOP 11501, 11502, 11503 im Krankheitsfall. Im Quartal 1/19 betraf die sachlich-rechnerische Richtigstellung die GOP 11501, 11502 und 11514 neben der GOP 01793 im Krankheitsfall bzw. GOP 01793 neben der GOP 11501, 11502, 11503, 11512 und 11513 im Krankheitsfall.
Zur Begründung der sachlich-rechnerischen Richtigstellungen wies die Beklagte auf die Ausschlussbestimmungen im Anschluss an die Leistungslegende der GOP 01793 Kapitel 11.4.4 hin. Der Krankheitsfall sei in § 21 Abs. 1 BMV-Ä geregelt. Eine erneute Schwangerschaft führe nicht zu einem neuen Krankheitsfall innerhalb des genannten Zeitraums. Dafür spreche auch eine Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts zur GOP 01816 (BayLSG, Urteil vom 16.09.2020, Az L 12 KA 24/19). Danach sei auf den Wortlaut der Leistungsbeschreibung hingewiesen worden, der aus Sicht des BayLSG eindeutig sei. Eine teleologische Reduktion des Begriffs "Krankheitsfall" dergestalt, dass im Ausnahmefall der erneuten Schwangerschaft innerhalb eines Krankheitsfalles eine zusätzliche Abrechnung der GOP 01816 zulässig wäre, scheide aus.
Gegen die angefochtenen Bescheide ließ die Klägerin Klagen zum Sozialgericht München einlegen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers führte zunächst aus, die angefochtenen Bescheide seien formell rechtswidrig. Insbesondere habe die Beklagte gegen die Begründungspflicht aus § 35 SGB X verstoßen.
Aber auch materiell-rechtlich seien die angefochtenen Bescheide als rechtswidrig anzusehen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers wies auf das rechtskräftige Urteil des Sozialgerichts München vom 15.05.2019 (Aktenzeichen S 38 KA 205/18) hin. Von diesem Urteil gehe eine Bindungswirkung für die Verwaltung aus. Damit verbunden sei ein Vertrauensschutz des Klägers. Er habe nicht damit rechnen müssen, dass es in der Folgezeit wieder zu sachlich-rechnerischen Richtigstellungen komme. Die Befugnis der Beklagten zu einer sachlich-rechnerischen R...