Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Übernahme der Kosten für Zoledronsäure-Infusionen zur Behandlung eines hormonrezeptorpositiven Mammakarzinoms in der Postmenopause im Off-Label-Use. Anspruch auf Versorgung im Wege einer grundrechtsorientierten Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Entgegen BSG (Entscheidung vom 13.12.2016 - B 1 KR 10/16 R = BSGE 122, 181 = SozR 4-2500 § 2 Nr 6) besteht auch im "off-label use" von Medikamenten ein verfassungsunmittelbarer - subjektiver-rechtlicher - Leistungsanspruch, wenn die vom BVerfG vorgegebenen Voraussetzungen (vgl BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 und vom 10.11.2015 - 1 BvR 2056/12 = BVerfGE 140, 229 = SozR 4-2500 § 92 Nr 18 und vom 11.4.2017 - 1 BvR 452/17) erfüllt sind.
2. Der institutionalisierte (objektiv-rechtliche) Gesundheits- und Grundrechtsschutz, wie ihn das Arzneimittelzulassungsrecht gewährt, kann die subjektiv-rechtlichen Verfassungsgarantien des Leistungsempfängers weder aushebeln noch können die beiden Ausprägungen des Grundrechtsschutzes gegeneinander ausgespielt werden.
Tenor
I. Der Bescheid vom 05.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2015 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin als Sachleistung die streitgegenständliche Infusionstherapie mit Zoledronsäure für 3 Jahre zu leisten.
III. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Streitig ist die Behandlung der Klägerin mit Zoledronsäure-Infusionen.
Bei der im Jahr 1942 geborenen Klägerin lag ein invasiv-duktales Mammakarzinom der linken Seite vor.
Mit Schriftsatz vom 20.02.2015 wurde seitens des behandelnden Rotkreuzklinikums A-Stadt die Kostenübernahme für halbjährliche Zoledronsäure-Infusionen für zunächst drei Jahre beantragt.
Bei hormonrezeptorpositivem Mammakarzinom in der Postmenopause bei vorliegendem Tumorstadium sei die Behandlung in halbjährlichen Abständen indiziert.
Mit Bescheid vom 05.03.2015 wurde der Antrag abgelehnt. Für die spezielle Erkrankung der Klägerin habe das Medikament bisher keine Arzneimittelzulassung. Eine solche erfolge grundsätzlich nur für Erkrankungen, für die das Arzneimittel entsprechend wissenschaftlich geprüft worden sei. Hierzu fordere der Gesetzgeber eine hohe Beweiskraft der wissenschaftlichen Datenlage. Für die vorliegende adjuvante Therapie stünden etablierte Standardbehandlungen zur Verfügung. Die Datenlage für die Zoledronsäure sei nicht ausreichend.
Die Klägerin ließ am 08.04.2015 Widerspruch einlegen. Daraufhin wurde seitens der Beklagten am 22.05.2015 der MDK eingeschaltet. Dieser erstattete am 11.08.2015 ein sozialmedizinisches Gutachten zu den Voraussetzungen des sogenannten Nikolausbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Entscheidung vom 06.12.2005, 1 BvR 347/98).
Nach dem Gutachten des MDK findet die Zoledronsäure Anwendung zur Prävention skelettbezogener Komplikationen bei erwachsenen Patienten mit auf das Skelett ausgedehnten Tumorerkrankungen sowie bei Patienten mit tumorindizierter Hyperkalziämie. Im hier zu beurteilenden Einzelfall würde es sich um eine Anwendung im Bereich des „off-label-use“ handeln.
Die Klägerin würde unter einer prinzipiell lebensbedrohlichen Erkrankung leiden. Es würden aber operative, chemotherapeutische und strahlentherapeutische Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen. Themenbezogene Studien zur Zoledronsäure bei Mammakarzinom lägen vor.
Die Kriterien der BSG-Rechtsprechung zur Anwendung von Arzneimitteln im „off-label-use“ seien nicht erfüllt. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 würde keine Anwendung finden. Eine individuelle Notlage sei nicht abzuleiten.
Der behandelnde Arzt Dr. D. merkte zu dem Gutachten daraufhin am 08.09.2015 an, dass es oberste Priorität sei, einem Rückfall vorzubeugen. Hierfür sei die präventive Behandlung mit Zoledronsäure erforderlich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2015 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Nach der BSG-Rechtsprechung komme eine Kostenübernahme nur dann infrage, wenn eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegen würde, für die keine andere Therapie verfügbar sei und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestünde, dass mit dem betreffenden Präparat ein kurativer oder palliativer Behandlungserfolg zu erzielen sei. Dies bedeute, dass Forschungsergebnisse vorliegen müssten, die erwarten ließen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon könne ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden sei und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III veröffentlicht worden sind, die eine klinisch relevante Wirksamkeit bei vertretbaren Risiken belegen, oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse von gleicher Qualität veröffentlicht seien.
Bei lebensbedrohlichen Erkrankungen sei zudem die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu beachten. Nach dem Beschluss vom 06.12.2005 genüge es, wenn die Datenlage eine a...