Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Pflegequalität. Streit über die Ergebnisse der Qualitätsprüfung. Transparenzbericht. einstweiliger Rechtsschutz gegen die Veröffentlichung. verfassungskonforme Auslegung von § 115 Abs 1a SGB 11. gesetzliche Anforderungen. Pflege-Transparenzvereinbarung stationär. erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Prüfergebnisse. Fehlen valider Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität. Verletzung der Berufsausübungsfreiheit. Abwägung

 

Orientierungssatz

1. Eine Auslegung des § 115 Abs 1a SGB 11 - insbesondere unter Berücksichtigung von Art 12 Abs 1 GG - kann nur zu dem Ergebnis führen, dass die vom Gesetz vorgesehene Veröffentlichung von Transparenzberichten grundsätzlich nur auf der Grundlage zutreffender Tatsachenfeststellungen erfolgen darf. Sind erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des Prüfergebnisses gerechtfertigt, hat die prüfende Stelle die Pflicht, diesen Zweifeln vor der Veröffentlichung etwa durch die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) oder durch eine weitere Qualitätsprüfung nachzugehen. Die gesetzliche Bestimmung des § 115 Abs 1a SGB 11 erlaubt nicht die Veröffentlichung zweifelhafter Berichte.

2. Die auf Grundlage der Pflege-Transparenzvereinbarung stationär (PTVS) vom 17.12.2008 erstellten Transparenzberichte genügen nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 115 Abs 1a S 1 SGB 11 hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität.

3. Für eine Abwägung des wirtschaftlichen Schadens des Trägers einer Pflegeeinrichtung mit den schutzwürdigen Belangen der Heimbewohner besteht kein Anlass. Eine das Grundrecht der Berufsfreiheit der Pflegeeinrichtung verletzende gesetzeswidrige Veröffentlichung eines Transparenzberichts kann kein Mittel sein, grundrechtsrelevante Pflegedefizite zu verhindern.

 

Tenor

Die Antragsgegner werden im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, ab sofort die Veröffentlichung des Transparenzberichts über die Pflegeeinrichtung des Antragstellers ( ...) aufgrund der MDK-Prüfung am 07. Oktober 2009 über die Internetportale der Antragsgegner - oder in sonstiger Weise - zu unterlassen.

Der Antragsteller ist vorläufig nicht verpflichtet, eine Zusammenfassung der Qualitätsprüfung vom 07. Oktober 2009 in der Einrichtung auszuhängen.

Diese Verpflichtungen gelten zunächst vorläufig bis Ende Juni 2010.

Die Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Streitig ist, ob der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verlangen kann, die Veröffentlichung eines Transparenzberichts zu beenden.

Der Antragsteller ist Träger einer durch Versorgungsvertrag zugelassenen Pflegeeinrichtung. In dieser Einrichtung führte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK) am 21. Oktober 2009 eine Qualitätsprüfung nach den §§ 112 ff des Sozialgesetzbuches - Elftes Buch - (SGB XI) durch.

Der auf der Grundlage dieser Prüfung erstellte Transparenzbericht weist als Gesamtergebnis aus 64 Einzelnoten die Note "befriedigend" (2,5) aus. Der Qualitätsbereich "Pflege und Medizinische Versorgung" erhielt die Gesamtnote "ausreichend" (3,6). Als Ergebnis der Befragung der Bewohner, das nicht in das Gesamtergebnis einfließt, wurde die Note "sehr gut" (1,0) angegeben.

Der Transparenzbericht wurde dem Antragsteller elektronisch zugeleitet und nach Abgabe eines Kommentars der Pflegeeinrichtung vor Ablauf der 28-Tage-Frist am 10. Dezember 2009 auf den Internetportalen der Antragsgegner veröffentlicht.

In einem Schreiben an die Antragsgegner vom 04. Dezember 2009 trug der Antragsteller eingehend substantielle Einwendungen gegen den Prüfbericht vom 21. Oktober 2009 vor. Der dem veröffentlichten Transparenzbericht angehängte Kommentar der Pflegeeinrichtung lautet:

"Wir halten die Bewertung unserer Medikamentenversorgung für nicht sachgerecht. Das ungünstige Ergebnis hängt im wesentlichen mit dem Einsatz so genannter Generika zusammen, d. h. der Arzt verordnet ein bestimmtes Medikament, der Apotheker muss oftmals aus Kostengründen ein Medikament mit einem anderen Markennamen, aber gleichem Wirkstoff liefern. Dieser Vorgang entzieht sich unserem Einfluss als Pflegeeinrichtung (Frage 12.3).

Unsere Pflegekräfte wissen sehr wohl, Kompressionsstrümpfe sachgerecht anzulegen. Bei der Qualitätsprüfung wurde festgestellt, dass bei einer Bewohnerin der obere Rand des Kompressionsstrumpfes sich aufgrund eines ausgeprägten "Hallux valgus" im Schuh der Bewohnerin geringfügig nach oben verschoben hat (Frage 12.9).

Natürlich berücksichtigen unsere Pflegekräfte bei der täglichen Körperpflege die Bedürfnisse und Gewohnheiten der Bewohner. So können "traditionelle Langschläfer" beispielsweise morgens ausschlafen und werden erst nach dem Wachwerden grundpflegerisch versorgt. Würden wir nicht so verfahren, hätten wir bei Bewohnern und Angehörigen nicht den hohen Grad an Zustimmung, den wir haben (Frage 17.2).

Selbstverständlich berücksichtigen wir auch bei der tägl...

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