Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgesenkter Zugangsfaktor bei einer unfallbedingt bezogenen Erwerbsminderungsrente auch nach einem Abfindungsvergleich
Orientierungssatz
1. Im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes ist es sachlich gerechtfertigt, die Rente wegen voller Erwerbsminderung gem § 43 SGB 6 anders als die Altersrente im Rahmen der Entscheidung des BSG vom 13.12.2017 - B 13 R 13/17 R = BSGE 125, 46 = SozR 4-2600 § 77 Nr 11 zu behandeln. Die Entscheidung des BSG stützt nicht die Analogie auch zur Behandlung des abgesenkten Zugangsfaktors bei der Erwerbsminderungsrente vor Erreichen der Altersrente.
2. Az beim LSG Essen: L 18 R 358/19
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Zahlung seiner unfallbedingt bezogenen Erwerbsminderungsrente nach einem ungeminderten Zugangsfaktor 1,0 im Wege einer Überprüfung gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Der am 00.00.1964 geborene Kläger erlitt am 02.12.2003 einen unverschuldeten Verkehrsunfall. Daraufhin wurde ihm von der Beklagten bis 01.07.2004 zunächst befristet volle Erwerbsminderungsrente bewilligt. Durch Bescheid vom 24.10.2006 hat die Beklagte die Rente wegen voller Erwerbsminderung erneut befristet bis zum 31.05.2009 und mit Bescheid vom 11.08.2010 dann auf Dauer zuerkannt. Seit Beginn der Rentenleistung legt die Beklagte den bei der Erwerbsminderungsrente vorgesehenen Zugangsfaktor von 0,892 (Minderung durch Rentenabschlag kraft Gesetzes von 36x0,003) zugrunde. Im März 2011 kam eine Vereinbarung über die finanziellen Unfallfolgen zwischen der Beklagten und dem Haftpflichtversicherer X. Q. AG des vormaligen Unfallverursachers, der den Kläger bei dem Verkehrsunfall im Ende 2003 schwer verletzt hatte, zustande. Danach wurde ein Abfindungsvergleich über 200.000,00 € geschlossen, womit die aufgelaufenen und zukünftigen Renten sowie Rentenversicherungsbeiträge ausgehend von einer Haftungsquote von 80% abschließend reguliert wurden.
Mit Schreiben vom 25.10.2017 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Überprüfung des Rentenbescheides vom 24.10.2006 in Verbindung mit dem Bescheid vom 11.08.2010 über die Zuerkennung schließlich unbefristeter Rente wegen voller Erwerbsminderung nach Maßgabe des § 44 SGB X. Zur Begründung des Überprüfungsantrages verwies er auf ein Urteil des Sozialgerichts (SG) Braunschweig vom 24.03.2017 - S 70 R 320/12. Der Leitsatz der Entscheidung des SG Braunschweig, aaO., lautet: “Wird eine Altersrente, die vorzeitig in Anspruch genommen wurde, infolge eines Regressanspruchs vom Haftpflichtversicherer dem Rentenversicherungsträger erstattet, hat der Rentenbezieher die Rente für den regressierten Zeitraum nicht mehr vorzeitig in Anspruch genommen. Entsprechend ist der Zugangsfaktor gemäß § 77 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB VI zu erhöhen."
Den Antrag auf Überprüfung lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 07.12.2017 ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers vom 10.12.2017 wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 12.04.2018 als unbegründet zurück und führte aus, unter Beachtung der im Zeitpunkt des Rentenbeginns (01.07.2004) geltenden Rechtslage werde die Rente wegen voller Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen in richtiger Höhe berechnet. Der am 02.12.2003 eingetretene Leistungsfall beruhe auf einen unverschuldeten Verkehrsunfall. Für die Ermittlung des Zugangsfaktors und für die Berechnung der Rente sei die Ursache, die zum Rentenanspruch geführt hat, unerheblich.
Nach § 119 SGB X gelte Folgendes : Wird ein versicherter Arbeitnehmer der gesetzlichen Rentenversicherung durch einen Unfall verletzt und als Folge hiervon arbeitsunfähig, arbeitslos oder anderweitig in seinen Verdienstmöglichkeiten eingeschränkt oder bezieht er eine Rente wegen Erwerbsminderung, hat der Schädiger u. a. auch die hierdurch entstehenden Nachteile im Alltagsrentenaufbau, d. h. einen Beitragsausfall, auszugleichen. Durch die Regelung des § 119 SGB X wird der Anspruch des Geschädigten auf Ersatz dieses fremdverschuldeten Rentenschadens treuhänderisch auf den Rentenversicherungsträger übertragen. Hier seien im Rahmen des § 119 SGB X regressierte Rentenbeiträge dem Versicherungskonto gutgeschrieben worden. § 77 SGB VI regele, welcher Zugangsfaktor bei der Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte (§ 66 SGB VI) maßgebend sei.
Für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit mit einem Rentenbeginn ab 01.01.2001 finde § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 - EM-ReformG - Anwendung. Danach sei der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten waren, bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den die Rente vor Ablauf des Kalendermonats begann, in dem das 63. Lebensjahr vollendet wird, um 0,3 % - insgesamt höchstens um 10,8 % - zu mindern. Die Vollendung des 60. Lebensjahres sei für die Bestimmung des Zugangsf...