Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. vorrangige Sozialleistungen. Pflicht zur Beantragung vorzeitiger Altersrente mit Rentenabschlägen. Unbilligkeit bei bevorstehender abschlagsfreier Altersrente für besonders langjährig Versicherte in 4 Monaten. - siehe dazu anhängiges Verfahren beim BSG: B 14 AS 1/18 R
Orientierungssatz
Die Inanspruchnahme einer durch Rentenabschläge geminderten vorzeitigen Altersrente nach § 12a SGB 2 ist gemäß § 3 UnbilligkeitsV unbillig, wenn der Leistungsberechtigte in vier Monaten eine abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte erhalten kann.
Nachgehend
Tenor
1. Der Bescheid des Beklagten vom 03.05.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2017 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Verpflichtung durch den Beklagten zur Beantragung vorzeitiger Altersrente.
Der am 1954 geborene Kläger bezieht gemeinsam mit seiner Ehefrau seit 2014 Leistungen nach dem SGB 11. Ab dem 01.08.2017 kann der Kläger eine Altersrente für langjährig Versicherte mit einer Rentenminderung von 9,6 % beanspruchen. Ab dem 01.12.2017 erfüllt der Kläger die Wartezeit und Altersgrenze für eine ungeminderte Altersrente für besonders langjährig Versicherte, er ist bereits mit 14 Jahren in die Lehre gegangen und hat 567 Monate Beitragszeiten. Die Höhe der ungekürzten Altersrente würde nach der letzten Rentenauskunft 1.199,94 € monatlich betragen.
Mit Bescheid vom 03.05.2017 forderte der Beklagte den Kläger auf, bis zum 20.05.2017 eine geminderte Altersrente ab dem 01.08.2017 zu beantragen. Der dagegen eingelegte Widerspruch des Klägers vom 09.05.2017 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2017 als unbegründet zurückgewiesen. Der Kläger sei gemäß § 12a SGB II verpflichtet, die Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen. Er erreiche am 28.07.2017 das 63. Lebensjahr. Die Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente (UnbilligkeitsV) regle die Ausnahmetatbestände abschließend. Keiner dieser Tatbestände sei erfüllt. Nach § 3 der UnbilligkeitsV sei eine Inanspruchnahme unbillig, wenn Hilfebedürftige in nächster Zukunft die Altersrente abschlagsfrei in Anspruch nehmen können. Dass hieße, Hilfebedürftige müssten eine Abschlagsrente nicht in Anspruch nehmen, wenn sie innerhalb von längsten drei Monaten ihre individuelle Regelaltersrente für den Bezug einer Altersrente erreichen. Der Kläger könnte eine abschlagsfreie Rente vier Monate nach der Abschlagsrente und damit nicht innerhalb von längsten drei Monaten in Anspruch nehmen. Der Ausnahmetatbestand nach § 3 UnbilligkeitsV sei damit nicht erfüllt. Auch die übrigen Ausnahmetatbestände seien nicht erfüllt. Es seien auch keine relevanten Ermessensgesichtspunkte gegeben, die einen atypischen Fall begründen würden. Außergewöhnliche Umstände, welche die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente unzumutbar erscheinen ließen, seien nicht gegeben. Insbesondere liege ein atypischer Fall nicht aufgrund der individuellen Rentenabschläge auch nicht in Verbindung mit der vorliegenden viermonatigen Zeitspanne zwischen Beginn der vorzeitigen Inanspruchnahme mit Abschlägen bis zur abschlagsfreien Inanspruchnahme vor. Nach pflichtgemäßem Ermessen sei der Kläger zur Beantragung der vorzeitigen geminderten Altersrente ab dem 01.08.2017 zu verpflichten.
Mit Schreiben vom 19.06.2017 beantragte der Beklagte ersatzweise eine geminderte Altersrente ab dem 01.08.2017 bei der Beigeladenen.
Am 05.07.2017 hat der Kläger Klage gegen die Aufforderung zur Beantragung der Altersrente am Sozialgericht Neubrandenburg erhoben. Am 07.07.2017 hat er einstweiligen Rechtsschutz unter dem Az. S 11 AS 663/17 beantragt. § 3 UnbilligkeitsV nenne keine Beschränkung auf drei Monate. Bei der Gesetzesformulierung “in nächster Zeit" handele es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, welcher vor dem Hintergrund der Zielstellung der Verordnung und der Auswirkungen auf alle Beteiligten auszulegen sei. Es sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber eine monatliche Rentenminderung von 0,3 % für jeden Monat vorgezogener Rente im Blick gehabt habe. Der Kläger verwirkliche innerhalb von vier Monaten jedoch die Voraussetzungen einer anderen Rentenart, die der besonders langjährig Versicherten, welche nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden könne. Er müsste damit einen Abschlag von 9,6 % hinnehmen. Im Übrigen sei die abschlagsfreie Rente aufgrund des dadurch zu erwartenden höheren SGB II-Leistungsanspruches der Ehefrau des Klägers auch für den Beklagten unwirtschaftlich.
Der Kläger beantragt:
Der Bescheid vom 03.05.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2017 wird aufgehoben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist der Beklagte auf die Gründe des angefochtenen Widerspruchsbescheides. Der Gesetzgeber habe auch bei/nach Einfüh...