Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhausträger. Vergütungsanspruch. Erforderlichkeit einer stationären Krankenhausbehandlung. objektive Beweislast. Beiziehung von Behandlungsunterlagen durch das Gericht. Versicherter. Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Recht auf Datenschutz. Schweigepflichtentbindungserklärung. gesetzliche Grundlage. Verwertungsverbot. Brandenburg

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der den Vergütungsanspruch wegen einer stationären Krankenhausbehandlung im Land Brandenburg geltend machende Krankenhausträger ist gemäß § 18 Abs 4 des Vertrags über Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung (ABK-Vertrag) auch dann beweisbelastet, wenn die Krankenkasse zunächst eine Zahlung vornimmt.

2. Die Beiziehung von Behandlungsunterlagen durch das Gericht ist dem Versicherten gegenüber ein Eingriff sowohl in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 1 Abs 1 GG) als auch in sein Recht auf Datenschutz (Art 11 LV; juris: Verf BB 1992) und bedarf entweder der Erteilung einer Schweigepflichtentbindungserklärung des Versicherten oder einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage. Eine solche ergibt sich weder aus § 106 Abs 3 Nr 2 SGG, den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs oder des Bundesdatenschutzgesetzes noch aus §§ 29, 27 Abs 3 BbgKHEG (juris: KHEG BB 2009).

3. Behandlungsunterlagen, die ohne das Vorliegen einer Schweigepflichtentbindungserklärung oder auf nicht hinreichender gesetzlicher Grundlage dem Gericht zu Lebzeiten des Versicherten übersandt worden sind, dürfen im sozialgerichtlichen Verfahren nicht verwertet werden und sind daher ohne Einsichtnahme durch das Gericht zurückzusenden. Ein auf Einsicht in diese Behandlungsunterlagen gerichteter Antrag der Krankenkasse erledigt sich daher bzw ihm kann mangels rechtlicher Verfügungsbefugnis des Gerichts nicht nachgekommen werden.

 

Orientierungssatz

Zur Erforderlichkeit einer Krankenhausbehandlung und zum Prüfungsumfang der Gerichte (vgl BSG - Großer Senat - vom 25.9.2007 - GS 1/06 = BSGE 99, 111 = SozR 4-2500 § 39 Nr 10).

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten zu tragen.

3. Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten für einen stationären Aufenthalt einer Versicherten der Beklagten.

1. Die bei der Beklagten versicherte Frau R S, geboren am 1974, wurde zur operativen Behandlung einer Rektusdiastase vom 11. Mai 2009 bis zum 16. Mai 2009 in dem A K U in 16303 S vollstationär behandelt. Die Beklagte zahlte den auf Grundlage der DRG I27D (“Eingriffe am Weichteilgewebe ohne äußerst schwere oder schwere CC, außer bei bösartiger Neubildung„) in Rechnung gestellten Betrag i. H. v. 2.383,84 € an die Klägerin und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) am 9. Juni 2009 mit einer Einzelfallprüfung zu den Fragestellungen: “Ist/sind die Prozedur(en) korrekt? Detailfrage: Liegt hier eine kosmetische OP vor?„. Der MDK zeigte der Klägerin unter dem 16. Juni 2009 die Einleitung des Prüfverfahrens an und forderte bei ihr unter dem 17. Juni 2009 alle “zur Beantwortung der Krankenkassenfrage notwendigen Krankenhausunterlagen„, insbesondere Arztbrief, OP-Bericht, Aufnahmestatus und Anamnese an. Dem kam die Klägerin nicht nach, so dass der MDK in seiner Einzelfallbegutachtung vom 19. August 2009 feststellte: “Das Krankenhaus hat damit die Korrektheit der abgerechneten Prozeduren und insbesondere eine medizinische Indikation für die Op. nicht belegt.„

Nachdem die Klägerin die angeforderten Unterlagen zur Verfügung gestellt hatte, beauftragte die Beklagte am 4. September 2009 erneut den MDK. Dieser kam in seiner Einzelfallbegutachtung vom 5. März 2010 zu dem Ergebnis, dass statt der von der Klägerin gewählten Hauptdiagnose (ICD-10) M62.08 (sonstige Muskeldiastase) die Hauptdiagnose E65 (Lokalisierte Adipositas) zutreffend ist. Auch die weiteren Diagnosen wurden abweichend, die Prozeduren hingegen in Übereinstimmung mit der Klägerin beurteilt. Wegen der festgestellten Abweichungen habe die Abrechnung daher auf Grundlage der DRG K07Z (“Andere Eingriffe bei Adipositas„) zu erfolgen. Es wurde weiter ausgeführt:

“Im ärztlichen Anamnese- und Statusbogen wird unter jetzigen Beschwerden schlaffe Bauchdecke___AMPX_’_SEMIKOLONX___X dokumentiert. Im klinischen Befund im Bereich des Abdomens dokumentiert große Fettschürze, schlaffe Haut, Bauch weich, kein DD___AMPX_’_SEMIKOLONX___X. Ein weiterer pathologischer Befund wird nicht dokumentiert, insbesondere findet sich im Aufnahmebefund keine Dokumentation einer Herniation.

Eine alleinige Rektusdiastase ohne Beschwerden und insbesondere ohne Herniation stellt keine medizinische Op.-Indikation dar. Den vorliegenden Unterlagen ist deutlich zu entnehmen, dass die Operation allein zur Fettschürzen-Operation erfolgte. In den Unterlagen werden weder funktionelle Beeinträchtigungen durch die Fettschürze, noch chronisch rezidivierende Entzündungen angegeben, die bei entsprechendem Ausmaß eine medizinische Indika...

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