Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Stromkostenerstattung. Einsparungen im Bereich des Haushaltsenergieanteils der pauschalierten Regelleistung. Anspruch auf menschenwürdiges Existenzminimum
Leitsatz (amtlich)
1. Stromkostenerstattungen sind bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht als Einkommen zu berücksichtigen.
2. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Vorauszahlungen an den Energieversorger aus den Mitteln der Grundsicherung geleistet wurden.
Orientierungssatz
Soweit für den Rechtskreis der Sozialhilfe Stromkostenerstattungen als einzusetzendes Einkommen angesehen werden, können daraus für das SGB 2 keine Rückschlüsse gezogen werden (Abgrenzung zu BSG vom 19.5.2009 - B 8 SO 35/07 R = SozR 4-3500 § 82 Nr 5).
Nachgehend
Tenor
1. Der Änderungs- und Erstattungsbescheid vom 11.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2007 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wehrt sich gegen die Anrechnung einer Stromkostenerstattung als Einkommen.
Die 53-jährige Klägerin wohnt zusammen mit ihrer Tochter H. R. (Klägerin des Parallelverfahrens S 18 AS 1064/09 WA) in einer Dreizimmerwohnung in O. Sie bezieht seit dem 01.01.2005 ununterbrochen Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II -.
Am 21.11.2006 stellte die Klägerin einen erneuten Folgeantrag. Der Beklagte bewilligte ihr darauf hin mit Bescheid vom 04.12.2006 Leistungen für den Zeitraum Januar 2007 bis Juni 2007. Die Höhe des Arbeitslosengeldes II betrug monatlich 257,11 Euro. Berücksichtigt wurde dabei ein Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung in Höhe von 56,30 Euro.
Am 15.05.2007 reichte die Klägerin die Stromabrechnung der Stadtwerke O. GmbH für das Jahr 2006 beim Beklagten ein. Danach ergab sich für die Klägerin und ihre Tochter ein Guthaben von insgesamt 164,35 Euro. Das Guthaben wurde am 23.02.2007 ausgezahlt.
Der Beklagte hob darauf hin den Bescheid vom 04.12.2006 teilweise auf und gewährte nun mehr mit Änderungsbescheid vom 11.06.2007 für den Monat Februar 2007 Arbeitslosengeld II in Höhe von 174,94 Euro. Er rechnete dabei das Guthaben aus der Stromabrechnung in Höhe von 82,17 Euro als Einkommen an. Zugleich forderte er von der Klägerin einen Betrag von 82,17 Euro zurück. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 25.06.2007 Widerspruch ein.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.10.2007 zurück. Bezüglich des Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung gab er an, dass dieser zwar zu Unrecht bewilligt worden sei, diesbezüglich jedoch Vertrauensschutz bestehe. Das Stromguthaben sei als Einkommen zu berücksichtigen. Der Gesamtbetrag des Guthabens von 164,35 Euro sei dabei zu halbieren gewesen. Hieraus ergebe sich ein anzurechnendes Einkommen in Höhe von 82,17 Euro.
Mit ihrer Klage vom 05.07.2007 verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Das Verfahren wurde mit Beschluss vom 11.06.2008 im Hinblick auf das Verfahren des 8. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) zum Aktenzeichen B 8 SO 35/07 R ruhend gestellt. Nach Erlass des Urteils vom 19.05.2009 wurde das Verfahren fortgesetzt. Der 8. Senat des BSG hat entschieden, dass Stromkostenerstattungen auf Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII - als Einkommen anzurechnen sind.
Die Klägerin macht geltend, dass sie die Stromvorauszahlungen aus der Regelleistung bezahlt habe. Die Anrechnung des Guthabens sei daher rechtswidrig. Es könne zudem nicht zu ihren Lasten gehen, wenn der Stromversorger Vorauszahlungen erhebt, die nicht dem tatsächlichen Verbrauch entsprechen. Die Entscheidung des 8. Senats des BSG zum SGB XII sei im Übrigen auf das SGB II nicht übertragbar.
Die Klägerin beantragt,
den Änderungs- und Erstattungsbescheid vom 11.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
1. die Klage abzuweisen,
2. die Revision zuzulassen.
Er verweist auf seine Bescheide und hält die dort genannte Auffassung weiter Aufrecht. Die Entscheidung des 8. Senats des BSG zum SGB XII könne dabei auf das SGB II übertragen werden. Dem stehe nicht entgegen, dass Stromkosten grundsätzlich aus der Regelleistung zu zahlen seien. Insoweit ergäben sich zwischen SGB II und SGB XII keine Unterschiede. Auch habe der 8. Senat des BSG diesbezüglich keine verfassungsrechtlichen Bedenken gesehen. Die Auffassung, dass Stromkostenerstattungen anzurechnen sind, werde auch durch die Neufassung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II in der Fassung ab dem 01.08.2006 gestützt. Dadurch sei ersichtlich, dass der Gesetzgeber von einer Anrechenbarkeit von Stromkostenerstattungen als Einkommen ausgehe. Zudem ergebe sich aus dem SGB II auch kein Belohnungssystem für eine Bedarfsverringerung. Das System der Grundsicherung stelle grundsätzlich ein am jeweils bestehenden Bedarf des Einzelnen ori...