Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Vorverfahren. Rechtsanwaltsgebühr. Rechtsangelegenheit der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Schwierigkeitsgrad der anwaltlichen Tätigkeit. Unbeachtlichkeit einer Toleranzgrenze. Geschäftsreise iS von RVG-VV Teil 7 Vorbem 7 Abs 2
Orientierungssatz
1. Die billige Gebühr für das Tätigwerden eines Rechtsanwalts im sozialgerichtlichen Vorverfahren wird in einem ersten Schritt ausgehend von der Mittelgebühr bestimmt. Sie ist in einem zweiten Schritt in der Höhe des Schwellenwertes zu kappen, wenn weder der Umfang noch die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit mehr als durchschnittlich ist (Anschluss an BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R = SozR 4-1935 § 14 Nr 2).
2. Bei Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist - von Bagatellsachen abgesehen - im Rahmen der Gebührenabwägung von unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen auszugehen, denen jedoch regelmäßig eine überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit gegenübersteht, so dass - bei durchschnittlichem Umfang und durchschnittlicher Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit - regelmäßig die Schwellengebühr kostenrechtlich angemessen ist.
3. Die zugunsten des Gebührenbestimmungsrecht des Rechtsanwalts grundsätzlich einzuräumende Toleranzgrenze von 20 % ist dann unbeachtlich, wenn ein Verfahren vorliegt, das insgesamt dem durchschnittlichen Bereich zuzuordnen ist, für das die Schwellengebühr die einzig zutreffende Gebühr darstellt (Anschluss an SG Lüneburg, Beschluss vom 30.11.2009 - S 12 SF 153/09 E, zitiert nach juris).
4. Eine Geschäftsreise liegt nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorbemerkung 7 Abs 2 RVG-VV immer dann vor, wenn eine Gemeindegrenze überschritten wird. Dabei ist unerheblich, dass sich die (unterschiedlichen Gemeinden) in ein und demselben Landkreis befinden.
Tenor
Der Beklagte wird unter Abänderung seines Kostenbescheides vom 28. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2008 (zugestellt am 24. Juni 2009) verurteilt, den Klägern einen weiteren Betrag in Höhe von 233,72 € zu erstatten.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt 9/10 der den Klägern entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der vom beklagten Grundsicherungsträger zu erstattenden Aufwendungen für die Hinzuziehung des die Kläger auch im vorliegenden gerichtlichen Verfahren vertretenden Bevollmächtigten im “isolierten Vorverfahren".
Der Beklagte bewilligte den Klägern und ihrer im Jahre 2003 geborenen Tochter mit Bewilligungsbescheid vom 05. April 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für den Bewilligungszeitraum vom 01. Februar 2006 bis zum 31. August 2006. Aufgrund zwischenzeitlicher Änderungen in den Einkommensverhältnissen nahm der Beklagte im genannten Bewilligungszeitraum Korrekturen in der Leistungsgewährung vor (Änderungsbescheid und Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 18. Juli 2006 betreffend den Zeitraum Juni 2006 und Juli 2006). Mit Änderungsbescheiden vom 15. September 2006 betreffend den Zeitraum von April 2006 bis Mai 2006 bzw. den Zeitraum von Juli 2006 bis August 2006 sowie mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 18. September 2006 betreffend den Zeitraum von April 2006 bis September 2006 erfolgten weitere Korrekturen, wobei die Änderung im Monat August 2006 mit einer den Klägern zugeflossenen und zu berücksichtigenden Einmalzahlung in Höhe eines Betrages von 122,00 € begründet worden war.
Gegen die Bescheide vom 15. September 2006 und 18. September 2006 erhob der Bevollmächtigte der Kläger namens und in Vollmacht der Kläger auftragsgemäß Widerspruch. Nach einer durch den Bevollmächtigten, der seinen Kanzleisitz in Neuruppin hat, in den Räumlichkeiten des Beklagten in Wittstock am 16. November 2006 erfolgten Akteneinsicht begründete der Bevollmächtigte den erhobenen Widerspruch mit Schreiben vom 08. Februar 2007. Auf etwa 2 ½ Seiten stellte er dar, warum die Einmalzahlung nicht als Einkommen zu werten sei (Schenkung der Mutter der Klägerin für eine Flugreise, Zahlungseingang bereits im Juni) und fügte eine entsprechende Erklärung der Mutter sowie Kopien von Kontoauszügen bei. Ferner rügte er eine von dem Beklagten an die Kläger vorgenommene Pauschalauszahlung und bat um Prüfung und transparente Darstellung. Mit Schreiben vom 22. Mai 2007, 26. September 2007 und 29. Oktober 2007 erinnerte der Bevollmächtigte an die ausstehende Entscheidung über den Widerspruch und drohte mit dem zuletzt genannten Schreiben die Erhebung einer Untätigkeitsklage an.
Mit Schreiben des Beklagten vom 02. November 2007 teilte der Beklagte dem Bevollmächtigten der Kläger mit, die Anrechnung der Einmalzahlung erfolge nicht mehr und der Rückforderungsbetrag verringere sich; dementsprechend erfolgte mit Änderungsbescheid vom 02. November 2007 eine Neuberechnung, mit der u. a. diese...