Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung
Tenor
I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, vorläufig, bis zum Eintritt der Rechtskraft in der Hauptsacheentscheidung, längstens jedoch bis 31.12.2021, die Versorgung des Antragstellers mit dem Arzneimittel T. (Wirkstoff Ataluren) zu genehmigen.
II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Im Streit steht die Versorgung mit dem Arzneimittel T..
Der 2009 geborene Antragsteller (Ast) ist bei der Antragsgegnerin (Ag) gesetzlich gegen Krankheit versichert. Bereits im Kindesalter traten beim Ast die typischen Symptome einer Muskeldystrophie Duchenne auf, die Diagnose wurde durch eine entsprechende Gendiagnostik gesichert. Bei dem zugrundeliegenden Gendefekt handelt es sich um eine Nonsense-Mutation im Dystrophin-Gen.
Anfänglich wurde der Ast mit dem lediglich symptomatisch wirkenden Kortikosteroid Calcort behandelt, das im Dezember 2017 wegen Gewichtszunahme abgesetzt wurde. Im Dezember 2017 erfolgte in der Kinderklinik E. die Einstellung auf T.. Der Ast war zu diesem Zeitpunkt 8 Jahre alt und noch gehfähig.
2014 wurde Ataluren als T. (Hersteller: P.) in der EU zugelassen in der Indikation Muskeldystrophie Duchenne bei gehfähigen Patienten ab einem Alter von 5 Jahren. Im Mai 2018 folgte eine Zulassungserweiterung für Kinder ab 2 Jahren. Die Zulassung des Arzneimittels erfolgte durch die European Medicines Agency (EMA).
Das Unternehmen beantragte im Jahr 2019 eine Indikationserweiterung im Sinne einer Hinzunahme der Behandlung von Patienten mit Muskeldystrophie Duchenne, die nicht mehr laufen können. Nach der Überprüfung ihres ursprünglichen Gutachtens hat die Europäische Arzneimittel-Agentur ihre Empfehlung zur Versagung einer Änderung der Genehmigung für das Inverkehrbringen für das Arzneimittel T. (Ataluren) bestätigt (EMA, 18.10.2019, EMA/565599/2019).
Am 20.01.2020 erteilte die Ag eine Abgabegenehmigung für einzeln importierte Arzneimittel für den Zeitraum 01.01.2020 bis 31.03.2020. Enthalten war der Hinweis, für die Folgezeit ein aussagekräftiges Attest vorzulegen mit entsprechender Begründung, weshalb es keine alternativen Therapieoptionen gebe.
Mit Schreiben des Universitätsklinikum Erlangen vom 13.02.2020 beantragten die Eltern des Klägers die Fortsetzung der Behandlung mit T.. In dem Schreiben wird ausgeführt, dass der Ast ausgeprägte Krankheitssymptome zeige. Die Muskelkraft sei reduziert. Die Bewegungsfähigkeit sei bei unzureichender Kopf- und Rumpfstabilität ebenfalls stark eingeschränkt. Es bestehe die Angewiesenheit auf einen Rollstuhl.
Die Ag teilte dem Ast mit Schreiben vom 05.03.2020 mit, dass man eine medizinische Bewertung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) einholen werde.
In seinem Gutachten vom 18.03.2020 führt dieser aus, dass im Nutzenbewertungsverfahren des G-BA (Beschluss vom 01.12.2016) nur ein geringer Zusatznutzen bei gehfähigen Patienten über 5 Jahre nachgewiesen worden sei. Bei nicht gehfähigen Patienten sei keine Wirksamkeit nachgewiesen worden. Es handle sich um ein in Deutschland zugelassenen Medikament, auch wenn das Arzneimittel durch den Hersteller zwischenzeitlich vom deutschen Markt genommen worden sei. Unabhängig davon, dass das Medikament in Deutschland nicht mehr vertrieben werde, bleibe die deutsche Zulassung gültig. Das Arzneimittel mit dem Wirkstoff Ataluren sei bei einem vollumfänglichen Einsatz entsprechend seiner Zulassung vom behandelnden Vertragsarzt auf einem üblichen Kassenrezept regulär verordnungsfähig und bedürfe insofern vor der Abgabe durch die Apotheke keiner Genehmigung seitens der Krankenkasse.
Mit Schreiben vom 25.03.2020 teilte die Ag den behandelnden Ärzten mit, dass mit der Ablehnung auf Zulassungserweiterung durch die EMA zugleich der Anspruch eines Versicherten auf Versorgung mit dem entsprechenden Arzneimittel durch die gesetzliche Krankenversicherung verneint werde. Der Einsatz des Arzneimittels im Rahmen eines rechtskonformen Off-Label-Use sei demnach ebenfalls ausgeschlossen.
Laut den Unterlagen sei es beim Ast im Verlauf der Erkrankung im vergangenen Jahr zum Verlust der Gehfähigkeit gekommen. Dies sei im Rahmen der Pflegebegutachtung durch den MDK festgestellt und von den Behandlern in einer Anfrage wegen der Versorgung mit einem Rollstuhl vom 27.01.2020 bestätigt worden.
Eine Versorgung des Ast mit Ataluren zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sei demnach nicht mehr möglich. Man könne daher nach eingehender pharmazeutischer und interdisziplinär-medizinischer Prüfung keine Abgabegenehmigung für T. ab 01.04.2020 erteilen.
Mit Bescheid vom selben Tag lehnte die Ag gegenüber dem Ast die Erteilung einer Abgabegenehmigung ab.
Mit Schreiben vom 15.09.2020 unterstützte das Universitätsklinikum erneut die Weiterbewilligung der Abgabe von T..
Der Ast erhalte dieses zur Erhaltung der Muskelrestfunktion sowie der Erhaltung der Restbeweglichkeit. Es sei von einem Behandlungserfolg auszugehen, da beim Ast bislang ke...