Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Sperrzeit wegen verhaltensbedingter Arbeitgeberkündigung. Rechtswidrigkeit bei unvollständiger Sachverhaltsermittlung. sozialgerichtliches Verfahren. Anfechtungsprozess. keine Nachholung der versäumten Ermittlungen durch das Gericht
Orientierungssatz
1. Ein Sperrzeitbescheid nach Arbeitgeberkündigung wegen versicherungswidrigem Verhalten (hier: Vorwurf des Zeiterfassungsbetrugs) ist rechtswidrig, wenn die Behörde den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt hat und die Sperrzeit alleine auf nicht näher belegte Angaben des (ehemaligen) Arbeitgebers stützt, obwohl der Kläger den vorgeworfenen Sachverhalt bestritten hat.
2. Im Rahmen des Klageverfahrens hat das Gericht die versäumten Ermittlungen nicht nachzuholen, weil es bei der isolierten Anfechtungsklage auf die Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung und nicht - wie bei der Leistungsklage - auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankommt.
Tenor
I. Der Sperrzeitbescheid vom 19.04.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.05.2021 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten in vollem Umfang zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit wird um Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Drittes Buch (SGB III) geführt. Es ist zwischen den Beteiligten die Aufhebung einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe streitig.
Der Kläger war seit 2014 als Kundendienstmonteur bei der Firma H. beschäftigt. Am 18.12.2020 erklärte der Arbeitgeber die außerordentliche Kündigung, hilfsweise ordentlich zum 28.02.2021. Noch am selben Tag meldete sich der Kläger arbeitssuchend und arbeitslos. In seinem Antrag auf Arbeitslosengeld gab er an, dass er sich nicht arbeitsvertraglich verhalten habe, weshalb er beim Arbeitsgericht eine Kündigungsschutzklage erhoben habe. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 07.01.2021 ab 13.03.2021 vorläufig Arbeitslosengeld ab 13.03.2021 und verwies darauf, dass über den Zeitraum vom 19.12.2020 bis 12.03.2021 noch nicht entschieden worden sei.
Im Rahmen der Ermittlungen, ob eine Sperrzeit eingetreten ist, fragte die Beklagte beim ehemaligen Arbeitgeber schriftlich nach, welches vertragswidrige Verhalten dem Kläger zur Last gelegt werde und ob eine schriftliche Abmahnung erfolgt sei. Außerdem forderte sie den Kläger auf, das Ergebnis des Arbeitsrechtsstreits mitzuteilen.
Der Arbeitgeber schrieb per E-Mail:
"Der Kündigungsgrund von Herrn A., war ein dokumentierter Arbeitszeitbetrug, den wir mit Zeiterfassung und Bezeugung von Kunden auch nachgewiesen haben."
Der Kläger teilte mit, dass der Arbeitsgerichtsprozess noch laufe und nicht vor Juni oder Juli mit einer Entscheidung zu rechnen sei.
Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 19.04.2021 das Ruhen des Leistungsanspruches bei Eintritt einer Sperrzeit für den Zeitraum 19.12.2020 bis 12.03.2021 fest. Die Sperrzeit sei eingetreten, weil der Kläger einen Arbeitszeitbetrug begangen habe, der mit Zeiterfassung und durch Bezeugung von Kunden des Arbeitgebers auch nachgewiesen worden sei. Der Kläger hätte absehen müssen, dass der Arbeitgeber ein solches Verhalten nicht dulde und dies zum Verlust des Arbeitsplatzes führen würde. Mit weiterem Bescheid vom selben Tage entschied sie endgültig über den Leistungsanspruch und bewilligte Arbeitslosengeld für den Zeitraum 13.03.2021 bis 19.02.2022 in Höhe von 40,56 EUR kalendertäglich.
In seinem dagegen erhobenen Widerspruch führte der Kläger aus, dass es eine unverschämte Dreistheit sei, in im Vorgriff der gerichtlichen Entscheidung im anhängigen arbeitsgerichtlichen Verfahren zu beschuldigen, einen Arbeitszeitbetrug begangen zu haben. Es gelte die Unschuldsvermutung. Die Beklagte rief daraufhin beim Arbeitgeber an, um die Umstände der Kündigung weiter zu ermitteln. Hierüber fertigte sie folgenden Telefonvermerk:
"Nachdem der WF mehrmals sehr früh zuhause gesehen wurden, und auch Rückfragen bei den Kunden erfolgten, bei denen der WF zuletzt Termine wahrgenommen hatte, wann seine Kundenbesuche geendet hätten, wurde offenkundig, dass längere als die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten von ihm gebucht wurden. Auf Anraten des Rechtsanwaltes des Arbeitgebers, wurde der Sachverhalt über einen gewissen Zeitraum verfolgt, um die außerordentliche Kündigung auch rechtlich begründen zu können. Entsprechende Nachweise (Arbeitszeitkonten, Kundenbefragungen) liegen dem Anwalt bzw. inzwischen dem Gericht vor. Ein Gerichtstermin wurde wegen Corona bereits mehrfach verschoben."
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.05.2021 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger habe keine Anhaltspunkte dafür vorgebracht, dass ein arbeitsvertragswidriges Verhalten nicht vorgelegen habe, sondern lediglich erklärt, dass er den Vorwurf des Arbeitszeitbetruges als Unverschämtheit und Beleidigung betrachte. Entgegen dem Einwand des Klägers sei für die Entscheidung über eine Sperrzeit auch nicht der Ausgang des Arbeitsgeri...