Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Arzneimittelversorgung. Abrechnungsstreit zwischen Krankenkasse und Apotheke. Vergütung unvermeidbarer Verwürfe zytostatikahaltiger Zubereitungen. Überschreitung der Haltbarkeit. maßgebliche Zeitspanne. Angaben in Hilfstaxe und Fachinformationen. vertragliche Vereinbarung fiktiver Haltbarkeiten

 

Orientierungssatz

1. Im Rahmen der Abrechnungsprüfung muss geprüft werden, ob ein unvermeidbarer Verwurf vorliegt. Voraussetzung für einen unvermeidbaren Verwurf ist die Überschreitung der Haltbarkeit.

2. Haben die Vertragsparteien mit der Angabe einer konkreten Zeitspanne fiktive Haltbarkeiten für die Abrechnung definiert, so muss sich die Krankenkasse daran auch festhalten lassen und der Apotheke den Verwurf vergüten (vgl SG Würzburg vom 14.4.2016 - S 17 KR 260/14).

3. Weichen die Haltbarkeitsangaben in den Fachinformationen und die in der Hilfstaxe angegebene Zeitspanne voneinander ab, so ist in einem solchen Fall, also bei Benennung einer konkreten Zeitspanne in der Hilfstaxe, allein die Angabe in der Hilfstaxe maßgeblich.

4. Finden sich in den gem § 11a AMG (juris: AMG 1976) für die Zulassung verpflichtend zu erstellenden Fachinformationen in einem standardisierten Abrechnungsverfahren verwertbare Angaben zur Haltbarkeit, so sind diese für die Prüfung der Haltbarkeit heranzuziehen. Ergeben sich aus diesen keine verwertbaren Informationen, so ist im Rahmen der Prüfung der Abrechnung nicht klärbar, ob die Haltbarkeit überschritten ist und daher ausschließlich auf die 24 Stunden Regelung in Ziffer 3.8c) der Hilfstaxe abzustellen.

5. Zur Prüfung der Frage der Vermeidbarkeit eines Verwurfs kann nicht auf andere Rechtsquellen (Stabil-Liste, Krämer-Liste, Stabilitätsdatenblätter) als die Hilfstaxe und die Fachinformationen zurückgegriffen werden.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 03.06.2020; Aktenzeichen B 3 KR 36/19 B)

 

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt 3.308,12 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.08.2014 zu zahlen.

II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

IV. Der Streitwert wird auf 3321,11 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über eine Aufrechnung aufgrund einer Retaxierung unvermeidbarere zytostatikahaltiger Zubereitungen betreffend den Monat März 2012.

Die Klägerin ist eine sog. herstellende Apotheke. Sie arbeitet unter validierten kontrollierten aseptischen Bedingungen nach der Apothekenbetriebsordnung. Die Klägerin stellt unter anderem für Onkologen Zytostatikazubereitungen her, die den Patienten im Rahmen der Chemotherapie verabreicht werden. Die Klägerin erhält dazu von dem bestellenden Arzt eine Therapieliste, der die genaue Dosierung der Zubereitung entnommen werden kann. Die Verordnungen enthalten keinen Präparatenamen eines Arzneimittels, sondern eine Wirkstoffbezeichnung. Aufgrund dieser Verordnung wird dann die parentale zytostatikahaltige Lösung zubereitet. Bei der Herstellung der zytostatikahaltige Lösungen ist grundsätzlich zwischen dem Anbruch und der gebrauchsfertigen Zubereitung zu unterscheiden. Um das gebrauchsfertige Zytostatikum zu erhalten wird das in der Originaldurchstechflasche enthaltende Medikament in flüssige Form überführt, in dem man beispielsweise eine Kochsalzlösung hinzufügt. Dies ist der sogenannte Anbruch oder Stammlösung. Diese Stammlösung wird dann in einem anderen Behältnis weiter verdünnt, um die gebrauchsfertige Lösung zu erhalten, welche dann als Endprodukt an den Patienten verabreicht wird.

Die Abrechnung der Kosten für die Herstellung erfolgt gegenüber dem Apothekenabrechnungszentrum der Beklagten. Die Beklagte vergütete der Klägerin die sich aus den streitigen Verordnungen ergebenden Beträge zunächst. Mit Schreiben vom 13.03.2013 beanstandete die Beklagte gem. § 9 Arzneimittelversorgungsvertrag Bayern (AV-Bayern) dann die Abrechnung der Klägerin vom März 2012 und übersandte als Anlage Imageausdrucke zu den Taxberichtigungen. Dies betraf die folgenden Verordnungen:

Patient

Medikament

Datum 

Absetzungs-

betrag

Anmerkung

auf Rezept

Zuordnung

Hilfstaxe;

Haltbarkeit

laut Anhang

A.    

Bendamustin

14.03.2012

55,00 €

Letzte Herstellung am Tag 20 mg Verwurf berechnet

3.8 a)

Anhang 1:

Sofort zu verwenden

B.    

Bendamustin

13.03.2012

14,62 €

Letzte Herstellung am Tag 5 mg Verwurf berechnet

3.8 a)

Anhang 1:

Sofort zu verwenden

C.    

Bortezomib

08.03.2012

616,42 €

Letzte Herstellung am Tag 1,6 mg Verwurf berechnet

3.8 a)

Anhang 1:

8 Stunden

D.    

Bortezomib

15.03.2012

616,42 €

Letzte Herstellung am Tag 1,6 mg Verwurf berechnet

3.8 a)

Anhang 1:

8 Stunden

E.    

Epirubicin

07.03.2012

12,99 €

Letzte Herstellung am Tag 5 mg Verwurf berechnet

3.8 a)

Anhang 2:

48 Stunden

F.    

Irinotecan

01.03.2012

15,07 €

Letzte Herstellung am Tag 10 mg Verwurf berechnet

3.8 a)

Anhang 2:

48 Stunden

G.    

Irinotecan

15.03.2012

15,07 €

Letzte Herstellung am Tag 12 mg Verwurf berechnet

3.8 a)

Anhang 2:

48 Stunden

H.    

Irinotecan

07.03.2012

15,07 €

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