Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Berechtigte. ausländischer Staatsangehöriger vor Entscheidung über seinen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis und Gestattung der Erwerbstätigkeit. Fiktionsbescheinigung. fehlende Erwerbsfähigkeit. Sozialgeldanspruch als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit dem deutschen Ehegatten. gewöhnlicher Aufenthalt. kein Leistungsausschluss
Orientierungssatz
1. Ein ausländischer Staatsangehöriger, der weder im Besitz eines eine Erwerbstätigkeit gestattenden Aufenthaltstitels noch einer Beschäftigungserlaubnis ist, sondern sich während der Zeit bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde lediglich aufgrund einer Fiktionsbescheinigung rechtmäßig in Deutschland aufhält, ist nicht erwerbsfähig iS des § 8 Abs 2 SGB 2.
2. Lebt der ausländische Staatsangehörige jedoch mit seiner hilfebedürftigen deutschen Ehefrau in Bedarfsgemeinschaft, so hat er gem §§ 7 Abs 2 S 1, 28 Abs 1 S 1 SGB 2 einen Anspruch auf Sozialgeld.
3. Dem Anspruch auf Sozialgeld nach § 28 SGB 2 kann nicht entgegen gehalten werden, dass der Hilfebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt gem § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB 2 nicht in Deutschland hat. Der nach § 7 Abs 2 S 1 SGB 2 sekundär Leistungsberechtigte, dessen Ansprüche gem § 7 Abs 2 S 2 SGB 2 speziellen Einschränkungen unterliegen, muss die nur für die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen vorgesehenen Voraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 SGB 2 nicht erfüllen. § 7 Abs 2 S 1 SGB 2 stellt neben § 7 Abs 1 S 1 SGB 2 eine weitere, selbstständige Grundlage für Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB 2 dar, deren einzige Voraussetzung ist, dass der Anspruchsberechtigte mit einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft lebt.
4. Zum Vorliegen eines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland gem § 30 Abs 3 SGB 1 unter Berücksichtigung einer Fiktionsbescheinigung der Ausländerbehörde gem § 81 Abs 5 AufenthG 2004.
5. Ein ausländischer Staatsangehöriger, der in Bedarfsgemeinschaft mit einem erwerbsfähigen, hilfebedürftigen Ehegatten mit deutscher Staatsangehörigkeit lebt, fällt nicht in den Anwendungsbereich des Leistungsausschlusses gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 2 in den ersten drei Monaten des Aufenthalts in Deutschland.
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Änderungsbescheides vom 12.05.2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 22.06.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.06.2009 verurteilt, dem Kläger dem Grunde nach für Juni 2009 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.
II. Dem Kläger sind die notwendigen außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger, der mit einer deutschen Ehefrau verheiratet, aber lediglich im Besitz einer sogenannten Fiktionsbescheinigung ist, einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II (Zweites Buch Sozialgesetzbuch) hat.
Der am 17.02.1966 geborene Kläger besitzt die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit. Er ist seit dem 09.03.2009 unter der Anschrift A.-K.-Str. in N. gemeldet. Er bewohnt dort zusammen mit der am 01.09.1967 geborenen M. L., die deutsche Staatsangehörige ist und laufende Leistungen nach dem SGB II bezieht, eine Zwei-Zimmer-Wohnung. Frau L. wurden zuletzt mit Änderungsbescheid vom 26.01.2009 Leistungen für den Zeitraum 01.01.2009 bis 30.06.2009 in Höhe von monatlich 540,74 EUR (Regelleistung i.H.v. 351 EUR; Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 387,34 EUR; angerechnetes Einkommen i.H.v. 197,60 EUR) bewilligt. Am 08.04.2009 informierte Frau L. die Beklagte telefonisch darüber, dass sie den Kläger am 01.04.2009 geheiratet habe. Am 21.04.2009 übersandte sie die in Dänemark ausgestellte Heiratsurkunde, eine Meldebescheinigung sowie den Ausweis des Klägers mit einer bis zum 05.07.2009 gültigen Fiktionsbescheinigung in Kopie. Die Fiktionsbescheinigung wurde zwischenzeitlich verlängert bis 05.10.2009.
Mit Änderungsbescheid vom 12.05.2009 bewilligte die Beklagte der Ehefrau des Klägers für Juni 2009 nur noch Leistungen in Höhe von 309,59 EUR (Regelleistung i.H.v. 316 EUR; Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 191,19 EUR; angerechnetes Einkommen i.H.v. 197,60 EUR). Zur Begründung wurde lediglich ausgeführt, aufgrund einer Überzahlung für die Monate April und Mai 2009 würden monatlich 35 EUR von der Leistung einbehalten und direkt an den Forderungseinzug Bogen abgeführt.
Gegen den Bescheid legte die Ehefrau des Klägers am 18.05.2009 Widerspruch ein. Sie machte unter anderem geltend, es sei eine Neuberechnung unter Einbeziehung ihres Ehemannes durchzuführen. Dieser gehöre nunmehr zu ihrer Bedarfsgemeinschaft und könne ebenfalls seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Kräften decken. Ihm stünden nach § 7 Abs. 2 S. 1 in Verbindung mit § 28 SGB II Leistungen zu. Zudem habe er ab dem 01.04.2009, dem Zeitpunkt der Eheschließung und seiner Aufnahme in den gemeinsamen Haushalt seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Ihm hätte die Aufnahme einer Beschäftigung gem. § 90 Abs. 5 Aufent...