Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfe zur Pflege. betreutes Wohnen. Vorranggrundsatz der ambulanten Hilfe. Ausnahmeregelung gem § 13 Abs 1 S 4 SGB 12. Zumutbarkeit der stationären Einrichtung. Leistungsumfang. Bestimmung der Unverhältnismäßigkeit der Mehrkosten. verfassungskonforme Auslegung

 

Orientierungssatz

1. Zur Geeignetheit und Zumutbarkeit einer stationären Einrichtung im Hinblick auf die Gruppenfähigkeit und das Lebensalter eines geistig behinderten Hilfebedürftigen.

2. Auch wenn die gewählte ambulante Wohnform einen besseren Betreuungsschlüssel bietet als die stationäre Einrichtung, führt dies allein nicht zur fehlenden Geeignetheit bzw Zumutbarkeit der stationären Einrichtung, denn es besteht lediglich die Verpflichtung zur Erbringung der notwendigen Leistungen, die dem Hilfebedürftigen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Der Hilfebedürftige kann jedoch nicht die optimalen Leistungen verlangen.

3. Zur Bestimmung der Unverhältnismäßigkeit der Mehrkosten iS des § 13 Abs 1 S 4 SGB 12 ist auf einen Vergleich zurückzugreifen; Verglichen werden müssen die Kosten, die die von dem Hilfebedürftigen gewünschte ambulante Pflege verursacht, und die Kosten, die bei seiner Unterbringung in einem - geeigneten - Wohnheim entstehen würden (vgl BVerwG vom 22.1.1987 - 5 C 10/85 = BVerwGE 75, 343 = FEVS 36, 353). Dabei können in diesem Zusammenhang nur die Kosten berücksichtigt werden, die zum Zeitpunkt der Entscheidung für die ambulante bzw stationäre Betreuung des Hilfebedürftigen tatsächlich anfallen. Vermutungen hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung des betroffenen Behinderten bzw seines Umfeldes, können bei der Erstellung des Kostenvergleiches nicht einbezogen werden.

4. Die Mehrkosten iS des § 13 Abs 1 S 4 SGB 12 sind dann "unverhältnismäßig", wenn die hieraus folgende Mehrbelastung des Sozialhilfehaushaltes zum Gewicht der vom Hilfebedürftigen angeführten Gründe für die von ihm getroffene Wahl der Hilfemaßnahme nicht mehr im rechten Verhältnis steht. Bei der Frage nach der (Un-)Verhältnismäßigkeit wunschbedingter Mehrkosten ist nicht auf einen rein rechnerischen Kostenvergleich abzustellen, sondern eine wertende Betrachtungsweise vorzunehmen (BVerwG vom 17.11.1994 - 5 C 13/92 = BVerwGE 97, 103 = FEVS 45, 408). Mithin kann auch für die Frage, ob unverhältnismäßige Kosten iS des § 13 Abs 1 S 4 SGB 12 vorliegen, keine starre Kostengrenze im Sinne einer Prozentzahl oder eines absoluten Betrages genannt werden. Vorzunehmen ist immer eine Einzelfallprüfung, die sich neben den zu vergleichenden konkreten Kosten an der konkreten Situation des betroffenen Behinderten zu orientieren hat.

 

Tatbestand

Streitig ist die Übernahme der ungedeckten Kosten für die ambulante Betreuung des Antragstellers in einer Wohngemeinschaft.

Bei dem im I. 1985 geborenen Antragsteller liegt eine zumindest mittelgradige geistige Behinderung mit schweren Kommunikationsstörungen, ausgeprägten Sprachstörungen und sehr ausgeprägten autistischen Zügen vor. Der Antragsteller bezieht ein Pflegegeld der Stufe II sowie eine Waisenrente in Höhe von 134,04 Euro pro Monat. Für ihn wird Kindergeld in Höhe von 154,00 Euro pro Monat gezahlt. Seit dem 16.02.2007 gewährt die Antragsgegnerin ihm darüber hinaus Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 222,46 Euro pro Monat.

Der Antragsteller, der bis zum 15.02.2007 bei seiner Pflegemutter und Betreuerin lebte, besucht regelmäßig die Förderstätte der J. Für ihn gewährte die Antragsgegnerin zuletzt mit Bescheid vom 18.12.2006 Eingliederungshilfe im Umfang von 6 Stunden pro Woche für die Zeit ab 01.11.2006.

Zum 16.02.2007 zog der Antragsteller in eine Vier-Personen-Wohngemeinschaft in der K. in L. Alle vier Personen dieser Wohngemeinschaft benötigen Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Bereits am 8. August 2006 hatte der Antragsteller einen Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege für den beabsichtigten Einzug in eine betreute Wohnform gestellt. Er ist unter Vorlage der Stellungnahme der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin M. vom 12.08.2006 der Ansicht, aufgrund seiner geistigen Behinderung nicht auf eine stationäre Einrichtung verwiesen werden zu können. Vielmehr sei ihm nur eine Unterbringung in einer kleinen ambulant betreuten Wohngemeinschaft zumutbar.

Die Antragsgegnerin zog den Sozialbericht der J. vom 12.10.2006, den Befundbericht des Internisten Dr. N. vom 08.09.2004, die Unterlagen des Amtsgerichts O. vom August 2006 hinsichtlich der zwischenzeitlichen Unterbringung des Antragstellers sowie die Stellungnahme des Diplom-Sozialarbeiters P. vom 23.01.2007 bei. Im Anschluss lehnte sie die Übernahme der ungedeckten Kosten für die ambulante Betreuung des Antragstellers in der Wohngemeinschaft mit Bescheid vom 25.01.2007 ab: Grundsätzlich habe der Antragsteller Anspruch auf Eingliederungshilfe. Allerdings sei dem Antragsteller die Unterbringung im Q. - einem Heim für Erwachsene mit geistiger Behinde...

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