Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht: Feststellung des Grades der Behinderung bei einer Bewegungseinschränkung der Schulter. Heilungsbewährung bei einer Tumorerkrankung. Anspruch auf Begleitung durch eine Vertrauensperson bei einer ärztlichen Untersuchung im Rahmen einer gerichtlichen Beweiserhebung

 

Orientierungssatz

1. Bei einer Tumorerkrankung mit einer gewissen Metastasierungswahrscheinlichkeit (hier: Schulterblatttumor) ist im Regelfall von einer Heilungsbewährungszeit von fünf Jahren auszugehen. Verläuft die Heilungsbewährung ohne eine Metastasierung und damit erfolgreich, ist der für die Heilungsbewährung zuerkannte Grad der Behinderung nach deren Ablauf auf das für die tatsächliche Funktionseinschränkung angemessene Maß abzusenken.

2. Bei einer nur einseitigen Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks, die eine Armhebung nur bis zu einem Winkel von 90 Grad ermöglicht, ist die Zuerkennung eines Grades der Behinderung von 20 angemessen.

3. Im Rahmen einer im sozialgerichtlichen Verfahren zur Feststellung eines Grades der Behinderung angeordneten Beweiserhebung durch Einholung eines ärztlichen Gutachtens besteht für den Betroffenen kein allgemeiner Anspruch auf Anwesenheit einer Begleitperson während einer dazu notwendigen ärztlichen Untersuchung. Die Anwesenheit einer Begleitperson kann nur ausnahmsweise dann verlangt werden, wenn aus besonderen Gründen die Anwesenheit für die Durchführung der Untersuchung erforderlich ist. Die entsprechenden Gründe sind dem Sachverständigen vor Beginn der Untersuchung darzulegen.

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Beklagte hat ein Drittel der im Vorverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen des Klägers zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Im Streit steht die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB).

Der 1958 geborene Kläger beantragte am 8.7.2011 durch seine damaligen Verfahrensbevollmächtigten beim Beklagten, den GdB festzustellen. Als Gesundheitsstörungen machte er geltend „Tumor in der Schulter mit OP“. Er legte einen vorläufigen Arztbrief der Klinik und Poliklinik für allgemeine Orthopädie und Tumororthopädie des Universitätsklinikums C. (UK-C.) vom 4.7.2011 vor. Dieses berichtete über die Diagnose „solider fibröser Tumor im Bereich der Scapula rechts mit Weichteilausdehnung“ und dessen Entfernung (weitere Tumorresektion mit Teilskapulektomie rechte Skapularegion) am 29.6.2011. Der Beklagte zog einen fachpathologischen Bericht vom 6.7.2011 bei. Gestützt auf eine Stellungnahme seines Ärztlichen Dienstes vom 13.8.2011, wonach die Rekonvaleszenz bei gutartigem Tumor im Bereich der rechten Schulter noch nicht abgeschlossen sei, lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 31.8.2011 ab.

Im anschließenden Vorverfahren schätzte Dr. D. für den Ärztlichen Dienst des Beklagten - auf der Grundlage weiterer Arztbriefe des UK-C. vom 26.10.2011 (Diagnosen „solitärer fibröser Tumor im Bereich der Scapula rechts mit Weichteilausdehnung“, „Tendinitis des M. Supraspinatus und auch subscapularis mit leichter intratendinöser Verkalkung des M. Supraspinatus, V. a. auf adähsive Capsulitis“) und 18.1.2012 - am 5.3.2012 aufgrund einer als „Schulterblattteil-entfernung mit Bewegungseinschränkung der Schulter rechts“ bezeichneten Funktionsbeeinträchtigung den GdB mit 20 ein. Mit Bescheid vom 14.3.2012 half der Beklagte dem Widerspruch teilweise ab und stellte den GdB ab 8.7.2011 mit 20 fest. Im Übrigen wies er den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9.7.2012 als unbegründet zurück. Im sich anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Osnabrück (S 34 SB 341/12) zog das Gericht eine Stellungnahme des Prof. Dr. E. /UK-C. vom 15.3.2013 zur genauen Klassifikation des Tumors bei. Dieser führte aus, die letztliche Einordnung einiger Knochenweichteiltumore hinsichtlich Malignität oder benignem Erscheinungsbild sei schwierig. Nach aktueller WHO-Definition handle es sich hier um einen Borderline-Tumor. Er verwies auf einen Literaturauszug, wonach in 10 % der Fälle Metastasen auftreten könnten. Aufgrund des klinischen Verlaufs müsse man diesen Tumor durchaus als potenziell maligne ansehen. Im Fall des Klägers habe ein großer Tumor vorgelegen, so dass das Metastasierungspotential sicherlich nicht geringer als 10 % einzustufen sei. Hierauf sowie auf eine von Dr. EG. unter dem 17.5.2013 abgegebene versorgungsärztliche Stellungnahme gestützt, gab der Beklagte unter dem 24.5.2013 ein Anerkenntnis ab, wonach der GdB ab Juli 2011 aufgrund einer als „Schulterblattteilentfernung mit Bewegungseinschränkung der Schulter im Stadium der Heilungsbewährung“ bezeichneten Funktionsbeeinträchtigung mit 50 festgestellt werde und führte dieses mit Bescheid vom selben Tag aus.

Am 8.6.2015 leitete der Beklagte ein Verfahren zur Überprüfung des Anspruchs ein. Er holte Befundberichte des Dr. F. ein (eingehend am 9.7.2015 und 20.6.2016), der Arztbriefe des UK-C. vom 13.5.2013 sowie der Radiologen Dres. G. u. w. vom 8.7.2014, 15.1.201...

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