Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Schülerunfall. sachlicher Zusammenhang. eigenwirtschaftliche Tätigkeit. Verwirklichung eines besonderen Gefahrenmoments. typisches Gruppenverhalten von Schülern oder Jugendlichen. unzureichende Beaufsichtigung. Stoß im Rahmen einer Rempelei
Leitsatz (amtlich)
Essen und Trinken sind grundsätzlich auch während der Arbeit bzw des Schulbesuchs private, eigenwirtschaftliche Handlungen, so dass kein Versicherungsschutz für Unfälle infolge des Essens oder Trinkens selbst, beispielsweise durch Verschlucken, Verbrennen, Abbrechen eines Zahnes oder Vergiftung, besteht. Ausnahmen sind nur anerkannt, wenn Umstände aus dem versicherten Risikobereich wesentlich zum Unfall beitragen.
Verwirklicht sich jedoch kein Risiko, das der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit innegewohnt hat, sondern das besondere Gefahrenmoment der Schüler-Unfallversicherung, das sich aus der unzureichenden Beaufsichtigung und dem typischen Gruppenverhalten von Schülern oder Jugendlichen ergibt, ist der Versicherungsschutz zu bejahen.
Tenor
1. Der Bescheid des Beklagten vom 13. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2012 wird aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass der Schüler I. (geb. am J.) am K. einen Schul-/Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erlitten hat.
3. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Der am L. geborene Kläger begehrt die Anerkennung seines Unfalls vom 15. Dezember 2010 als Arbeits-/Schulunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der Kläger ist Schüler des Gymnasiums M. in M.. Am Unfalltag suchte der Kläger während der Pause gemeinsam mit einem Mitschüler die Toilette auf dem Schulgelände auf, um seine Notdurft zu verrichten. Im Waschraum befanden sich zu diesem Zeitpunkt zwei weitere Schüler. Als der Kläger nach dem Durchqueren des Waschraumes die Tür zum Toilettenbereich passierte, erhielt er von einem dieser weiteren Mitschüler einen Stoß in den Rücken. Der Kläger stürzte daraufhin und schlug mit seinem Oberkiefer gegen den Eckpfosten einer Toilettenkabine. Er erlitt hierbei eine Schädigung des rechten oberen Schneidezahns.
Die Schule zeigte dem Beklagten den Unfall an und gab an, der Kläger sei aufgrund eines versehentlichen Stoßes eines Mitschülers gestürzt. Der Beklagte lehnte gegenüber dem Vater des Klägers als dessen gesetzlichen Vertreters mit Bescheid vom 13. März 2012 die Anerkennung des Unfalls als Schul-/Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung ab, dass der Aufenthalt in den Toilettenräumen zum Verrichten der Notdurft eine private, unversicherte Tätigkeit darstelle.
Der hiergegen erhobene Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2012).
Hiergegen richtet sich die am 24. Mai 2012 vor dem Sozialgericht Osnabrück erhobene Klage, mit der der Kläger - vertreten durch seinen Vater als gesetzlichen Vertreter - sein Begehren weiter verfolgt.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers trägt vor, dass es für den Schüler einer Schule keine andere Möglichkeit gäbe, als während der Schulzeit und im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule die Toilette zu besuchen. Gegen die Rechtsauffassung des Beklagten spräche, dass mit dem Betreten das Haftungsprivileg des § 106 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) aufgehoben würde. Dies wäre ein systemwidriges Verständnis der Haftungssituation.
Der Kläger beantragt,
1. den Bescheid des Beklagten vom 13. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2012 aufzuheben,
2. den Beklagten zu verurteilen, festzustellen, dass der Kläger am K. einen Schul-/Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung erlitten hat.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er weist darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) während des Aufenthalts auf Schultoiletten zwecks Verrichtung einer Notdurft grundsätzlich kein Versicherungsschutz bestünde. Lediglich der Weg zur Toilette und zurück sei gesetzlich unfallversichert. Der Versicherungsschutz auf dem Weg zur Toilette ende jedoch mit dem Betreten der Sanitäranlagen, d.h. mit dem Durchschreiten der zu ihnen führenden Tür.
Da sich der Kläger innerhalb der Toilettenräume verletzt habe, sei er nicht gesetzlich unfallversichert gewesen. Zudem habe sich auch kein besonderes Gefahrenmoment verwirklicht, das typisch für die Schule sei, denn der Kläger sei nur aufgrund eines versehentlichen Stoßes eines Mitschülers gestürzt. Die örtlichen Gegebenheiten hätten keine besondere Gefahrquelle dargestellt. Die Toilettenräume seien ausreichend groß gewesen; es hätten sich insgesamt auch nur vier Schüler dort aufgehalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Klage...