Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 für ein im Haushalt der Eltern lebendes erwachsenes behindertes Kind. Einkommenseinsatz. Absetzung von Beiträgen zur Kfz-Haftpflichtversicherung bei Vorliegen einer außergewöhnlichen Gehbehinderung. Vermögenseinsatz. Kfz. Schonvermögen. Härtefall. private Rentenversicherung. Vereinbarung eines unwiderruflichen Verwertungsausschlusses bis zum Eintritt in den Ruhestand. Unwirksamkeit. vorübergehende tatsächliche Unverwertbarkeit. Nachweis von Verwertungsbemühungen
Leitsatz (amtlich)
1. Im Sozialhilferecht richtet sich der Bedarf einer erwachsenen leistungsberechtigten Person bei Leistungen für den Lebensunterhalt im Grundsatz nach der Regelbedarfsstufe 1 auch dann, wenn sie mit ihren Eltern in einer Haushaltsgemeinschaft lebt (Anschluss an BSG vom 23.7.2014 - B 8 SO 31/12 R = BSGE 116, 223 = SozR 4-3500 § 28 Nr 10).
2. Jedenfalls bei einer leistungsberechtigten Person mit einer außergewöhnlichen Gehbehinderung (Merkzeichen aG) sind die Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung für einen tatsächlich mehrfach wöchentlich selbst genutzten Pkw nach § 82 Abs 2 Nr 3 SGB 12 vom Einkommen abzusetzen. In einem solchen Fall ist ein angemessener Pkw nach § 90 Abs 3 S 1 SGB 12 geschütztes Vermögen, weil seine Verwertung eine Härte bedeuten würde.
3. Der Begriff des Eintritts in den Ruhestand in § 168 Abs 3 VVG 2008 (unwiderrufliche Verwertungsausschlüsse bei für die Altersvorsorge bestimmten Versicherungsverträgen) ist so auszulegen, dass er mit den spezifischen Regelungen zur Verwertbarkeit oder Unverwertbarkeit des Vermögens im SGB 12 ebenso harmoniert, wie er dies im Verhältnis zu § 12 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB 2 tut.
4. Daher sind Personen, die Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung haben und folglich endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, als bereits im Ruhestand iS des § 168 Abs 3 VVG 2008 befindlich anzusehen mit der Folge, dass diese Personen einen Verwertungsausschluss nach § 168 Abs 3 VVG 2008 nicht mehr wirksam vereinbaren können, weil diese Regelung Verwertungsausschlüsse für die Zeit nach dem Eintritt in den Ruhestand nicht zulässt und folglich die jederzeitige Kündigungsmöglichkeit zum Schluss der laufenden Versicherungsperiode nach § 168 Abs 1 VVG 2008 weiterhin besteht.
5. Da nach § 171 S 1 VVG 2008 ua von § 168 VVG 2008 nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers, der versicherten Person oder des Eintrittsberechtigten abgewichen werden kann, sind nach dem Eintritt in den Ruhestand vereinbarte Verwertungsausschlüsse auch zivilrechtlich unwirksam (§ 134 BGB).
6. Die Frage, ob Verwertungsausschlüsse, die vor dem Eintritt in den Ruhestand abgeschlossen werden und die Verwertung bis zum (frühestmöglichen) Eintritt in die Altersrente unwiderruflich ausschließen, ohne Möglichkeiten eines vorzeitigen endgültigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben (etwa durch den Eintritt einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung) zu berücksichtigen, wirksam sind, bedarf hier keiner Entscheidung.
7. Gleichwohl konnte der Kläger hier seine Versicherungen in den streitgegenständlichen Zeiträumen und in einem angemessenen Zeitraum darüber hinaus nicht verwerten, weil angesichts der vereinbarten Verwertungsausschlüsse davon auszugehen ist, dass die Versicherungsgesellschaften eine Kündigung oder sonstige Verwertung der Versicherungen durch den Kläger nicht akzeptiert hätten und auch sonstige Akteure des Wirtschaftslebens sich angesichts der Verwertungsausschlüsse nicht bereit gefunden hätten, die Versicherungen des Klägers zu beleihen oder anzukaufen.
8. Für die Zukunft wird der Kläger eine etwaige fortbestehende Unverwertbarkeit der Versicherungen durch Darlegung seiner darauf gerichteten Bemühungen und Bezeichnung geeigneter Beweismittel zu beweisen haben.
Tenor
Der Beklagten wird unter Abänderung seiner Bescheide vom 06.12.2011, 12.01.2012, 09.05.2012, 22.05.2012 und 26.07.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2012 sowie unter Abänderung seiner Bescheide vom 18.12.2012 und 26.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2014 verurteilt, dem Kläger Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung als nicht rückzahlbaren Zuschuss für die Zeit vom 01.12.2011 bis 31.12.2011 in Höhe von 418,57 €, für die Zeit vom 01.01.2012 bis 30.04.2012 in Höhe von monatlich 246,50 €, für die Zeit vom 01.05.2012 bis 30.06.2012 in Höhe von monatlich 249,40 €, für die Zeit vom 01.07.2012 bis 31.08.2012 in Höhe von monatlich 433,40 €, für die Zeit vom 01.01.2013 bis 28.02.2013 in Höhe von monatlich 440,99 € und für die Zeit vom 01.03.2013 bis 30.06.2013 in Höhe von monatlich 454,98 € zu gewähren und das dem Kläger für die Zeit vom 01.01.2012 bis 30.06.2012 darlehensweise weitergeleitete Kindergeld in Höhe von monatlich 184,00 € in einen nicht rückzahlbaren Zuschuss umzuwandeln.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erst...