Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. Haushaltsgemeinschaft. Kindergeld. eingeschränkte Berücksichtigung des Einkommens des Stiefelternteils bei hilfebedürftigen Stiefkindern

 

Orientierungssatz

1. Das Einkommen eines Stiefelternteils ist auf den Bedarf der mit ihm in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Stiefkinder nur nach § 9 Abs 5 SGB 2 zu berücksichtigen.

2. Eltern iS des § 9 Abs 2 S 2 SGB 2 sind nur die leiblichen Eltern und Adoptiveltern, nicht aber Stiefeltern bzw der - nicht eheliche - Partner eines Elternteils, obwohl Kinder mit ihm auch eine Bedarfsgemeinschaft bilden.

3. Haushaltsaufnahme iS des § 63 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG bedeutet die Aufnahme in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungsverhältnis und Erziehungsverhältnis familienhafter Art (vgl BSG vom 30.8.2001 - B 4 RA 109/00 R = SozR 3-2600 § 48 Nr 5), wobei es ohne Bedeutung ist, ob und in welchem Umfang der (Kindergeld)Berechtigte einen tatsächlichen Beitrag zum Unterhalt des Kindes leistet (vgl BFH vom 27.8.1998 - VI B 236/97 = BFH/NV 1999, 177).

4. Im Hinblick auf die gesetzliche Vermutung des § 9 Abs 5 SGB 2 ist darauf zu achten, dass von Verwandten/Verschwägerten ein Einsatz des gemäß §§ 11, 12 SGB 2 zu berücksichtigenden Einkommens und Vermögens nur erwartet werden darf, wenn diese Mittel deutlich über ihrem SGB 2-Bedarf liegen.

5. Neben dem Freibetrag nach § 1 Abs 2 AlgIIV können weitere berücksichtigungsfähige Belastungen wie zB Zinsen und Tilgungsbeträge aus Schuldverpflichtungen oder Beiträge zu Versicherungen oder Bausparverträgen in Ansatz gebracht werden.

 

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Kinder I., T. und N. für die Zeit vom 01.04.2005 bis zum 31.05.2005, längstens jedoch bis zur Bestandskraft des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von Euro 484,78 Euro monatlich zu gewähren, soweit die Leistungsvoraussetzungen im Übrigen erfüllt sind.

2. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

3. Der Antragstellerin wird für das bei dem Sozialgericht Schleswig anhängige Verfahren gegen die Antragsgegnerin Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin S. als Prozessbevollmächtigte beigeordnet.

 

Tatbestand

Die Antragsteller begehren im Wege der einstweiligen Anordnung, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie Leistungen zur Unterkunft und Verpflegung ohne Anrechnung des Einkommens des Stiefvaters S. zu gewähren.

Die Antragstellerin ist die Mutter der 1987 geborenen T., der 1988 geborenen I., der 1990 geborenen T. und der 1991 geborenen N. Die Töchter stammen aus der ersten Ehe der Antragstellerin mit Herrn L., der keine Unterhaltszahlungen leistet. Die Antragstellerin ist in zweiter Ehe mit S. verheiratet; aus dieser Verbindung stammt die 1994 geborene A.

Für I. und T. wird Kindergeld in Höhe von je 154,00 Euro und für N. und A. in Höhe von je 179,00 Euro geleistet. Die Antragstellerin verfügt über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bis zum 02.06.2005 in Höhe von kalendertäglich 5,61 Euro. Bis zum 31.12.2004 erhielt die Antragstellerin für ihre Töchter aus erster Ehe Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Der bei einer Berufstaucherei beschäftigte Ehemann der Antragstellerin verfügt über ein monatliches Einkommen in Höhe von 3155,98 Euro br./2194,39 Euro netto (Oktober 2004, Bl. 5 der Verwaltungsakte -VA-).

Am 15.12.2004 beantragte die Antragstellerin Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende. Mit Bescheid vom 17.12.2004 lehnte die Antragsgegnerin gegenüber der Mutter des Antragsteller die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab, da Hilfebedürftigkeit gem. § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II unter Berücksichtigung der nachgewiesenen Einkommensverhältnisse nicht bestehe.

Mit dem dagegen am 29.12.2004 erhobenen Widerspruch wies die Antragstellerin darauf hin, dass das Geburtsdatum der Tochter T. falsch sei (1987 statt 1997), Die Mietkosten unzutreffend bemessen worden sein und ihr nicht nachvollziehbar sei, warum das Einkommen des Stiefvaters beim Bedarf der Töchter aus erster Ehe Berücksichtigung gefunden habe. Die Kaltmiete betrage ab dem 01.01.2005 685,00 Euro zuzüglich Nebenkosten in Höhe von 138,32 Euro.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.2005 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück, da das zu berücksichtigende Einkommen den Bedarf übersteige, so dass keine Bedürftigkeit bestehe. Zur näheren Begründung führte sie aus, dass die Antragstellerin mit ihrem Ehemann und den Töchtern eine Bedarfsgemeinschaft gem. § 7 Abs. 3 SGB II bilde, wobei jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft gem. § 9 Abs. 1 SGB II grundsätzlich sein Einkommen und Vermögen unabhängig von etwaigen zivilrechtlichen Unterhaltsansprüchen für alle Mitgl...

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