Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Erstattungsfähigkeit der Mehrkosten eines auswärtigen Rechtsanwalts. Spezialkenntnisse. Vertrauensverhältnis

 

Orientierungssatz

1. Eine Erstattungsfähigkeit der Mehrkosten für einen auswärtigen Rechtsanwalt als notwendige Kosten setzt voraus, dass er über Spezialkenntnisse verfügt oder ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht.

2. Spezialkenntnisse sind besondere Fachkenntnisse in einer den konkreten Fall betreffenden rechtlichen Spezialmaterie oder besondere, zur Fallbearbeitung notwendige Kenntnisse auf tatsächlichem Gebiet, die ihn von anderen ortsansässigen Rechtsanwälten abheben (vgl FG Hamburg vom 18.6.2012 - 3 KO 209/11 = RVGreport 2012, 426).

3. Ein Rechtsanwalt verfügt dann über rechtliche Spezialkenntnisse, die ihn von ortsansässigen Anwälten abheben, wenn er sich in einem umgrenzten Fachgebiet, das in der Regel enger als die Materie einer Fachanwaltschaft sein wird, Kenntnisse und Erfahrungen in einem Vertiefungsgrad angeeignet hat, der den eines durchschnittlichen Rechtsanwalts oder Fachanwalts deutlich übersteigt. Über besondere Kenntnisse in tatsächlicher Hinsicht verfügt ein Rechtsanwalt insbesondere dann, wenn er nahezu ausschließlich eine bestimmte Gruppe von Mandanten oder Mandanten aus einer bestimmten Branche vertritt und dadurch über vertiefte Kenntnisse der branchenüblichen Gepflogenheiten und der den Rechtsstreitigkeiten zugrundeliegenden Sachverhalten verfügt oder einschlägig besonders umfangreich, also über die bloß vorprozessuale Vertretung hinaus, mit den Angelegenheiten des Mandanten vorbefasst war (vgl FG Hamburg vom 18.6.2012 - 3 KO 209/11 aaO).

 

Tenor

1. Auf die Erinnerung vom 14.09.2012 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Schwerin vom 24.07.2012 dahingehend abgeändert, dass auf Antrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 07.04.2010 die von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten auf 624,28 € festgesetzt werden.

2. Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.

3. Die Erinnerungsgegnerin hat der Erinnerungsführerin ihre notwendigen außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I. Die Erinnerungsführerin wendet sich gegen die Absetzung der von ihrem Prozessbevollmächtigten zur Festsetzung angemeldeten Reisekosten.

Mit ihrer Klage vom 13.07.2008 begehrte die Erinnerungsführerin von der Erinnerungsgegnerin die Übernahme der Kosten für eine operative Adipositasbehandlung, zu der das Sozialgericht Schwerin die Erinnerungsgegnerin mit Urteil vom 27.01.2010 verurteilt hat. Ferner wurde die Erinnerungsgegnerin verurteilt, die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Erinnerungsführerin zu tragen.

Mit dem Kostenfestsetzungsantrag vom 07.04.2010 wurden neben einer Verfahrens- und Terminsgebühr sowie einer Auslagenpauschale nach VV RVG 7002 folgende Reisekosten für den in Frankfurt/Main ansässigen Prozessbevollmächtigten zur Festsetzung angemeldet:

Fahrtkosten VV 7003 (602 km x 2 x 0,30 €)

361,20 €

Tage- und Abwesenheitsgeld VV 7005 für mehr als 8 h

 60,00 €

Übernachtungskosten VV 7006

 91,00 €

Die Erinnerungsgegnerin hat zum Kostenfestsetzungsantrag ausgeführt, dass von ihr insgesamt 874,65 € angewiesen worden seien. Ein darüber hinausgehender Anspruch bestehe nicht.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 24.07.2012 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die von der Erinnerungsgegnerin an die Erinnerungsführerin noch zu erstattenden Kosten auf 133,28 € festgesetzt. Fahrtkosten und Abwesenheitspauschale seien in Höhe von 42,00 € sowie 35,00 € erstattungsfähig. Es seien auch Reisekosten von Rechtsanwälten erstattungsfähig, die nicht im Bezirk des Sozialgerichts niedergelassen seien, soweit die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung notwendig gewesen sei. Daher sei zu prüfen, ob die Zuziehung gerade dieses Rechtsanwaltes notwendig gewesen sei. Dies sei der Fall, wenn es sich bei dem Rechtsanwalt um einen Spezialisten für Sozialrecht oder einen Anwalt des besonderen Vertrauens gehandelt hätte. Vorliegend gehe es um die Übernahme der Kosten für eine Operation durch die jeweilige Krankenkasse. Ausweislich der Verfahrensakte handele es sich dabei um ein gewöhnliches sozialgerichtliches Verfahren, welches keiner speziellen Kenntnisse bedürfe. Auch das Krankheitsbild der Klägerin Adipositas stelle keinen außergewöhnlichen Zustand dar. Hierfür sei kein Spezialist für Sozialrecht erforderlich gewesen, zumal der Prozessbevollmächtigte lediglich einen Schwerpunkt im Sozialrecht gesetzt habe. Auch eine vom Prozessbevollmächtigten angesprochene Mitgliedschaft in der Deutschen Adipositas Gesellschaft sei nicht von Nöten, um ihn mit einem solchen Fall bei diesem Krankheitsbild zu betrauen. Es lägen ebenfalls keine Gründe vor, die eine Hinzuziehung gerade dieses Anwaltes zum Termin rechtfertigen würden. Dem Argument des besonderen Vertrauensverhältnisses allein auf Grund der ursprünglichen Herkunft der Klägerin könne nicht gefolgt werden. De...

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