Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Rückforderung der Leistungen im Rahmen einer endgültigen Entscheidung gem § 328 SGB 3. nicht begründete Überprüfungsanträge. Ablehnung der Überprüfungsanträge. Verpflichtungsklage. keine Pflicht zur Begründung von Überprüfungsanträgen. Amtsermittlungspflicht des Grundsicherungsträgers. keine Beitragserstattungspflicht bei Rückabwicklung vorläufiger Leistungen
Leitsatz (amtlich)
1. Wenn ein Beteiligter einen Antrag auf "Überprüfung nach § 44 SGB X" stellt, ist der Antrag regelmäßig so auszulegen, dass der zu überprüfende Verwaltungsakt zurückgenommen oder anderweitig aufgehoben werden soll. Statthafte Rechtsschutzform gegen einen die Rücknahme eines Verwaltungsaktes ablehnenden Verwaltungsakt ist die Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs 1 S 1 SGG.
2. Eine Behörde darf eine inhaltliche Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Bescheides nicht deshalb ablehnen, weil der Antragsteller seinen hierauf gerichteten Antrag bis zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung nicht begründet hat (entgegen LSG Mainz vom 16.2.2017 - L 3 AS 289/16 B - nicht veröffentlicht).
3. Für Anträge, die auf die Rücknahme eines belastenden Verwaltungsaktes gerichtet sind, gibt es keine Begründungspflicht. Insbesondere ist eine solche nicht in § 44 SGB X enthalten. Die Konstituierung einer Begründungspflicht, deren Nichteinhaltung eine materiell rechtswidrige Ablehnungsentscheidung der Behörde oder die Ablehnung der Durchführung eines Verwaltungsverfahrens per Verwaltungsakt erlaubte, verstieße sowohl gegen das Gesetzesbindungsgebot der Art 20 Abs 3 und Art 97 Abs 1 GG als auch gegen den Gesetzesvorbehalt des § 31 SGB I.
4. § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist bei Verwaltungsakten, mit denen die Erstattung einer zuvor (vorläufig oder endgültig) bewilligten Leistung verlangt wird, nicht "entsprechend" anzuwenden (entgegen BVerwG vom 15.11.1990 - 5 C 78/88 = BVerwGE 87, 103 RdNr 13 f; BSG vom 12.12.1996 - 11 RAr 31/96 = SozR 3-1300 § 44 Nr 19 RdNr 14 ff; BSG vom 28.5.1997 - 14/10 RKg 25/95 = SozR 3-1300 § 44 Nr 21 RdNr 13; BSG vom 4.2.1998 - B 9 V 16/96 R = SozR 3-1300 § 44 Nr 24 RdNr 12; BSG vom 16.9.1999 - B 7 AL 80/98 R = SozR 3-4100 § 101 Nr 10 RdNr 15 f; BSG vom 13.2.2014 - B 4 AS 19/13 R = BSGE 115, 121 = SozR 4-1300 § 44 Nr 29, RdNr 14).
5. Bei der Rückabwicklung vorläufig erbrachter Leistungen nach § 40 Abs 2 Nr 1 SGB II aF iVm § 328 Abs 3 S 2 Halbs 1 SGB III sind geleistete Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nicht zu erstatten (Anschluss an LSG Halle vom 26.8.2015 - L 4 AS 81/14 = juris RdNr 31).
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 29.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2015 verpflichtet, den Bescheid vom 14.10.2014 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit vom Kläger zu 1 ein höherer Betrag als 2.131,44 Euro erstattet verlangt wird.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Beklagte hat den Klägern 20 % ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen einen Ablehnungs- und Erstattungsbescheid bezogen auf einen Leistungszeitraum vom 01.04.2013 bis zum 30.09.2013.
Der 1978 geborene Kläger zu 1 ist der Vater der am 17.09.2012 geborenen Klägerin zu 2 und des am 03.04.2009 geborenen Klägers zu 3. Die Kläger wohnen zusammen mit der Ehefrau des Klägers zu 1 und Mutter der Klägerin zu 2 und des Klägers zu 3 zusammen in einer Mietwohnung in L…. Mietvertragspartner sind der Kläger zu 1 und seine Ehefrau. Die Grundmiete für die Wohnung betrug 545,30 Euro monatlich. Hinzu kamen Heizkosten in Höhe von 30 Euro und Nebenkosten in Höhe von 75 Euro monatlich einschließlich Kosten für zentrale Warmwasserversorgung sowie ein Beitrag von 4,50 Euro monatlich für eine Haftpflichtversicherung, zu deren Abschluss eine mietvertragliche Verpflichtung bestand.
Die Kläger bezogen seit dem 01.10.2012 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und hatten durch den Kläger zu 1 am 13.03.2013 einen Weiterbewilligungsantrag gestellt.
Der Kläger zu 1 ist bzw. war als Raumausstatter selbstständig tätig. Er hatte im Rahmen des Formulars EKS Angaben zum voraussichtlichen Einkommen gemacht, aus denen der Beklagte einen voraussichtlichen durchschnittlichen monatlichen Gewinn in Höhe von 328,67 Euro errechnete. Für die Klägerin zu 2 und den Kläger zu 3 erhielt die Familie Kindergeld in Höhe von jeweils 184 Euro monatlich. Die Ehefrau des Klägers zu 1 bezog Elterngeld in Höhe von 300 Euro monatlich.
Mit Bescheid vom 03.04.2013 hatte der Beklagte den Klägern für den Zeitraum vom 01.04.2013 bis zum 30.09.2013 vorläufig Leistungen nach dem SGB II bewilligt. Dem Kläger zu 1 wurden 355,24 Euro monatlich bewilligt, wobei im Bescheid zwischen dem Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts (190,99 Euro) und Bedarfen für Unterkunft und Heizung (164,25 Euro) differenziert wurde. Grund für die vorläufige Bewilligung waren die zu erwartenden Einnahmen aus selbstständig...