Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Krankenversicherung: Voraussetzung der Kostenübernahme für einen chirurgischen Eingriff bei Übergewicht als Maßnahme der Krankenbehandlung

 

Orientierungssatz

Eine adipositaschirurgische Operation kommt auch dann als von der gesetzlichen Krankenkasse zu übernehmende Krankenbehandlung in Betracht, wenn die Ursache des krankhaften Übergewichts nicht in einer Funktionsstörung des Magens begründet ist, sondern in krankhaftem Essverhalten, wenn konservative Therapieformen nicht mehr zielführend sind. Dabei ist bei einer erfolglos durchgeführten multimodalen Therapie davon auszugehen, dass konservative Therapieformen nicht mehr zur Verfügung stehen.

 

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 19.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2014 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine minimalinvasive adipositaschirurgische Operation einschließlich der postoperativen Nachsorge als Sachleistung zu gewähren.

2. Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer adipositaschirurgischen Maßnahme.

Die Klägerin ist 1973 geboren und bei der Beklagten krankenversichert. Sie beantragte im April 2014 die Kostenübernahme für eine adipositaschirurgische Magenoperation. Damals und heute wiegt sie bei einer Körpergröße von 1,76 m etwa 150 kg (Bodymaßindex ≪BMI≫ 48,4 kg/m²). 1999 hatte ihr Ausgangsgewicht 65 kg betragen. Die Klägerin gab an, aufgrund ihres Übergewichts an schmerzhaften Gelenkbeschwerden, Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Schlafapnoe zu leiden. Die Klägerin unternahm seit dem Jahr 2002 verschiedene Diäten und Programme ohne dauerhaften Erfolg. Unter anderem nahm sie von 2005 bis 2007 an dem Programm BodyMed teil und dabei knapp 24 kg Gewicht ab. Anschließend erfolgte wieder ein Gewichtsanstieg. Die Klägerin machte geltend, auch eine multimodale Therapie absolviert zu haben. Seit Aufnahme einer Verhaltenstherapie im Jahr 2012 halte sie ihr Gewicht und habe keine Essattacken mehr. Die Verhaltenstherapie machte die Klägerin bis in das Jahr 2015. Eine Ernährungstherapie machte sie im Jahr 2012 sowie im gesamten Jahr 2015. Seit März 2015 nimmt die Klägerin am Rehasport teil.

Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 12.05.2014 ein. Dieser teilte mit, dass bei der Klägerin eine therapiebedürftige Erkrankung vorliege. Mangels einer schlüssigen Dokumentation zu den durchgeführten Therapiemaßnahmen könne eine ultima ratio Situation nicht nachvollzogen werden. Der operative Eingriff sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu befürworten. Es könne den Unterlagen weder der Gewichtsverlauf noch die Durchführung einer adäquaten Bewegungstherapie entnommen werden. Es fehle auch die Dokumentation von z.B. durch den Hausarzt geleiteten, sechs- bis zwölfmonatigen erfolglosen konservativen Therapiemaßnahmen mit Gewichtskontrollen und Diskussion des Ernährungstagebuchs.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag durch Bescheid vom 19.05.2014 ab.

Zur Begründung ihres Widerspruchs machte die Klägerin geltend, dass die medizinische Indikationsstellung interdisziplinär durch sechs Fachärzte und einen klinischen Psychologen getroffen worden sei.

Die Beklagte holte eine weitere Stellungnahme des MDK vom 18.06.2014 ein, der an seiner Auffassung fest. Es sei weiterhin nicht ersichtlich, dass eine multimodale Behandlung durchgeführt worden sei. Diese sei vorrangig.

Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 06.11.2014 zurückgewiesen.

Die Klägerin hat am 05.12.2014 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren unter Wiederholung und Vertiefung ihres vorgerichtlichen Vorbringens weiterverfolgt.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 19.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.11.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr antragsgemäß eine minimalinvasive adipositaschirurgische Operation als Sachleistung einschließlich der postoperativen Nachsorge zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Gründe des Widerspruchsbescheides. Es sei weiterhin nicht erwiesen, dass alle konservativen Behandlungsmethoden erschöpft worden seien. Es sei nicht belegt, ob tatsächlich eine multimodale Therapie zur Gewichtsreduktion unter ärztlicher Anleitung über einen ausreichenden, aber auch zusammenhängenden Zeitraum stattgefunden habe. Dr. St… habe dies im Befundbericht nicht bestätigt, sondern nur eine Ernährungstherapie beschrieben. An Bewegungstherapien komme beispielsweise Wassergymnastik oder Schwimmen auch bei schlechter Beweglichkeit in Betracht.

Das Gericht hat Befundberichte eingeholt der Ernährungsmedizinerin Dr. St…vom 18.03.2015, des Allgemeinarztes Dr. E… von 23.03.2015 und der Fachärztin für Innere Medizin Dr. R… vom 14.04.2015, auf die verwiesen wird.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines internistisch-nervenärztlichen Gutachtens von Dr. Sch… vom 11.06.2015. Zum Ergebnis d...

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