Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Krankenversicherung: Übernahme von Behandlungskosten für eine Krankenhausbehandlung. Genehmigungsfiktion bei Nichtentscheidung eines Antrags auf Leistungsgewährung. Zulässigkeit eines Naturalleistungsanspruchs bei Umsetzung einer Genehmigungsfiktion zur Durchführung einer medizinischen Behandlung
Orientierungssatz
1. Ist von der Genehmigung einer medizinischen Behandlung (hier: Liposuktion) durch die gesetzliche Krankenkasse allein aufgrund der Genehmigungsfiktion nach nicht rechtzeitig beschiedenem Antrag auf Leistungsgewährung auszugehen, kommt es für die Begründetheit der Leistungspflicht nicht darauf an, ob die Leistung im konkreten Einzelfall erforderlich ist.
2. Auch dann, wenn die Pflicht zur Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenkasse allein aus der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB 5 wegen nicht rechtzeitig entschiedenem Leistungsantrag resultiert, besteht gegen die gesetzliche Krankenkasse ein Naturalleistungsanspruch, nicht lediglich ein Kostenerstattungsanspruch.
3. Auch eine aufgrund der gesetzlichen Fiktion in § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB SGB 5 anzunehmende Genehmigung einer medizinischen Versorgung eines Patienten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung bleibt wirksam bestehen, solange und soweit diese Genehmigung nicht zurückgenommen bzw. widerrufen wurde oder sich anderweitig erledigt hat.
4. Im Streit um die durch eine Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB 5 eingetretene Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ist auch dann die allgemeine Leistungsklage als Klageart anzunehmen, wenn die Krankenkasse inzwischen einen ablehnenden, noch nicht bestandskräftigen Bescheid erlassen hat.
5. Einzelfall einer Genehmigungsfiktion zur Übernahme der Kosten für eine minimalinvasive adipositaschirurgische Maßnahme.
Nachgehend
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin mit einer zweischrittigen stationären Liposuktion der Beine als Sachleistung zu versorgen.
2. Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt eine Liposuktion ihrer Beine im Rahmen zweier stationärer Krankenhausbehandlungen.
Die 1976 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Bei ihr besteht seit Jahren ein Lipödem an beiden Beinen. Außerdem besteht bei der Klägerin eine Adipositas Grad II. Zur Behandlung des Lipödems hatte die Klägerin manuelle Lymphdrainagen sowie eine stationäre Rehabilitation (2014) durchgeführt.
Am 06.01.2015 ging bei der Beklagten für die Klägerin ein Antrag auf Vornahme einer Liposuktion beider Beine in zwei stationären Krankenhausbehandlungen in Gestalt eines Gutachtens des Facharztes für plastische und ästhetische Chirurgie sowie Handchirurgie Dr. R…ein. Dieser führte aus, dass bei der Klägerin seit 25 Jahren ein therapieresistentes Lipödem bestehe, nunmehr im Stadium III. Es sei eine Liposuktion in zwei stationären Operationen an den Beinen erforderlich.
Am 16.01.2015 beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Begutachtung und teilte der Klägerin mit, dass sie über ihren Antrag noch nicht habe entscheiden können. Der Hintergrund sei, dass für die Entscheidung ein Gutachten des MDK erforderlich sei. Der MDK forderte bei der Klägerin am 26.01.2015 weitere Befunde an. Die Beklagte teilte der Klägerin am 06.02.2015 daraufhin mit, dass über den Antrag noch nicht entschieden werden könne. Der Hintergrund sei, dass ein Gutachten des MDK erforderlich sei und dass der MDK das Gutachten noch nicht habe erstellen können, weil noch Unterlagen fehlten. Am 10.02.2015 forderte die Beklagte bei der Klägerin im Auftrag des MDK die Befundunterlagen an. Die Unterlagen gingen am 18.02.2015 bei der Beklagten ein. Am 25.02.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass über den Antrag noch nicht habe entschieden werden können, weil ein Gutachten des MDK erforderlich sei.
In einem Gutachten vom 17.02.2015, welches vor Eingang der angeforderten Unterlagen erstellt wurde, führte der MDK aus, dass sich sozialmedizinisch eine Notwendigkeit für die Liposuktionen nicht ableiten lasse. Es sei weitere vertragliche Behandlung wie Kompressionstherapie, manuelle Lymphdrainage und ergänzend die Anwendung der apparativen intermittierend Kompressionstherapie angezeigt. In einem weiteren Gutachten vom 16.03.2015 hielt der MDK an seiner Auffassung fest.
Mit Bescheid vom 19.03.2015 lehnte die Beklagte gestützt hierauf den Antrag der Klägerin ab. Die Liposuktion zur Behandlung des Lipödems sei grundsätzlich keine Kassenleistung. Es fehle an evidenzbasierten Nachweisen. Eine lebensbedrohliche Erkrankung, die in Einzelfällen die Kostenübernahme rechtfertigen könne, liege nicht vor.
Zur Begründung ihres Widerspruchs machte die Klägerin geltend, dass die Liposuktionen medizinisch notwendig seien und dass jedenfalls wegen einer verspäteten Entscheidung die Genehmigungsfiktion eingetreten sei. Über den Wider...