Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankengeld. keine erneut erforderliche Arbeitsunfähigkeits-Feststellung. keine "Lückenlosigkeit" von Prognosen für den Fortbestand des Anspruchs. Bezugnahme auf obergerichtliche Rechtsprechung ersetzt keine gesetzliche Grundlage für die Beschränkung eines gesetzlich eingeräumten Anspruchs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Gemäß § 40 Abs 1 SGB 1 entstehen Ansprüche auf Sozialleistungen, sobald ihre im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. § 46 SGB 5 enthält eine solche gesetzliche Regelung im Sinne des § 40 Abs 1 SGB 1 zur Entstehung des Anspruchs auf Krankengeld.

2. Das Gesetz knüpft den Fortbestand des materiellen Anspruchs auf Krankengeld nicht an die Erfüllung weiterer Obliegenheiten durch den Versicherten. Einen "gesetzlich geregelten Zeitpunkt einer ggf erneut erforderlichen AU-Feststellung" gibt es im SGB 5 nicht (entgegen BSG vom 16.12.2014 - B 1 KR 19/14 R Rn 17 und vom 16.12.2014 - B 1 KR 25/14 R Rn 16). Bevor ein einmal entstandener Anspruch sein Ende gefunden hat, muss kein neuer Anspruch entstehen.

3. Eine ärztliche Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der AU ist keine Voraussetzung für einen Krankengeldanspruch. Daher kann auch nicht die "Lückenlosigkeit" von Prognosen für den Fortbestand des Anspruchs gefordert werden (entgegen BSG vom 16.12.2014 - B 1 KR 25/14 R aaO, B 1 KR 19/14 R aaO und B 1 KR 37/14 R = SozR 4-2500 § 192 Nr 7).

Die Bezugnahme auf obergerichtliche Rechtsprechung ersetzt keine gesetzliche Grundlage für die Beschränkung eines gesetzlich eingeräumten Anspruchs.

Weder ist die Entscheidung über einen Anspruch mit dem Anspruch selbst zu verwechseln, noch kann die Entscheidungspraxis eines Gerichts - auch die eines Bundesgerichts mit Ausnahme des BVerfG - als gesetzliche Regelung betrachtet werden oder eine solche unbeachtlich machen oder ersetzen.

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 03.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2013 verurteilt, dem Kläger weiteres Krankengeld in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 01.07.2013 bis zum 03.10.2014 zu zahlen.

2. Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von Krankengeld über den 30.06.2013 hinaus.

Der 1959 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert und war zuletzt als Staplerfahrer bei der Firma F… U…GmbH in G… beschäftigt. Ab dem 05.04.2013 erkrankte der Kläger arbeitsunfähig an Gastroenteritis und Wirbelsäulenbeschwerden. Am 08.05.2013 wurden Bandscheibenvorfälle im CT diagnostiziert. Das Beschäftigungsverhältnis wurde krankheitsbedingt zum 19.04.2013 gekündigt. Bis zu diesem Tag erhielt der Kläger Entgeltfortzahlung vom früheren Arbeitgeber.

Mit Erstbescheinigung vom 05.04.2013 hatte Dr. K… als Vertreter des Hausarztes dem Kläger Arbeitsunfähigkeit wegen Gastroenteritis und Kolitis attestiert. Ab dem 08.04.2013 stellte der behandelnde Hausarzt Dr. C…-E…-D… dem Kläger - soweit ersichtlich nicht ganz lückenlos - Folgebescheinigungen und Auszahlscheine wegen akuter Gastroenteritis und Wirbelsäulensyndrom aus, zuletzt einen Auszahlschein vom 03.06.2013. Auf diesem gab Dr. C…-E…-D… an, der Kläger sei voraussichtlich bis zum 30.06.2013 (Sonntag) arbeitsunfähig. Auf einem Anfrageformular zur Arbeitsunfähigkeit bescheinigten die Ärzte des MVZ Klinikum W… am 07.06.2013, dass bei dem Kläger Arbeitsunfähigkeit wegen “NPP L4/5„ bestehe.

Nach eigenen Angaben suchte der Kläger am 28.06.2013 die Hausarztpraxis erneut auf. Diese sei jedoch “außerplanmäßig„ geschlossen gewesen. Am 01.07.2013 (Montag) stellte er sich wiederum dort vor und erhielt einen weiteren Auszahlschein zur Erlangung von Krankengeld mit einer angegebenen Dauer der Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich bis zum 15.07.2013. Auf einem weiteren Auszahlschein, den der Arzt am 26.07.2013 ausstellte, gab er an, der Kläger sei noch arbeitsunfähig, voraussichtlich bis zum 25.07.2013 (dem Vortag). Als arbeitsunfähigkeitsbegründende Diagnosen gab er an: Bandscheibenvorfall, Erschöpfung, Alkohol, Gastroenteritis. Ausweislich des Widerspruchsbescheides hatte der Arzt dem Kläger bereits am 25.07.2013 eine Folgebescheinigung erteilt, auf der er die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit bis zum 09.08.2013 angegeben hatte. Eine weitere Folgebescheinigung erteilte am 09.08.2013 nochmals Dr. K… als Vertreter des Hausarztes. Dieser gab an, die Arbeitsunfähigkeit dauere voraussichtlich bis zum 18.08.2013 (Sonntag). Einen letzten Hausarztbesuch absolvierte der Kläger am 16.09.2013, da er nach eigenen Angaben nicht mehr wusste, wie er die Kosten tragen solle.

Die Beklagte zahlte dem Kläger Krankengeld für die Zeit vom 20.04.2013 bis zum 30.06.2013, wobei die Bewilligung und Zahlung für die Zeit bis zum 03.06.2013 am 10.06.2013 und für die Zeit bis zum 30.06.2013 am 03.07.2013 erfolgte.

Der Arzt im MDK M… erklärte in einer Stellungnahme nach Aktenlage vom 01.07.2013, ein Term...

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